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: Kallippos ging stiften

■ Schmutzigen Lorbeer gab es auch im Sport des alten Griechenland

Die moderne olympische Idee wird 1996 einhundert Jahre alt. „Mißliche Dopingfälle und maßloser Gigantismus“ haben sie in Mißkredit gebracht, meint Wolfgang Decker, Professor für Sportgeschichte an der Sporthochschule Köln. Was liegt näher als Rückbesinnung auf das antike Olympia, eine Sportkultur mit „überzeitlicher Größe“, so die Einleitung.

Decker kennt die antiken Wettkampfregeln, die Trainingsmethoden („das Biegen von Eisenplatten und das Bändigen von Stieren und Löwen“) und auch die dunklen Flecken des damaligen Leistungssports zu gut, um in Lobgesang auf ein ideales Sportsystem zu verfallen. Das Verheizen von Talenten ist ebensowenig eine Erfindung der Neuzeit wie der käufliche Erwerb eines Olympiasieges. Dem Ringer Gerenos wurde, so ein Zeitzeuge, nach einem Trinkgelage das erforderliche Ruhepäuschen verwehrt. Sein unerbittlicher Coach ließ ihn statt dessen so lange trainieren, bis er tot darniedersank.

Im Sündenkomplex „Bestechung“ findet Decker deutliche Unterschiede zu heute: Während Schalke 04 & Co. heute in die DFB-Kasse zahlen müssen, finanzierten antike Bestecher eine wohlgefällige Kunst. Damals mußte der Athener Kallippos für seinen gekauften Fünfkampfsieg eine sündhaft teure Zeusstatue stiften. War ein Olympionike zu arm, mußte die Heimatstadt einspringen. Für ruhmreiche Athleten zeigte sich die Heimatstadt spendabel: Der berühmte Faustkämpfer Theogenes von Thasos konnte 1.300 Siege vorweisen und blieb 22 Jahre lang unbesiegt. Ihm zur Ehre errichtete man in Thasos ein Standbild. Ein Feind verging sich an dem Kunstwerk mit der Peitsche, der steinerne Boxer fiel prompt um und erschlug den Bösewicht.

Die finsteren Seiten des antiken Sports waren noch nicht so vielfältig wie heute, ein Dopingkapitel schreibt Decker jedenfalls nicht. Stark begrenzt war für damalige Athleten, nicht zu sprechen von Athletinnen, das Wettkampfrepertoire. Lorbeer oder Preisgeld winkten in Griechenland nur für Wagenrennen, Wettläufe, Fünfkampf, Ringkampf. Ob auf der Aschenbahn oder auf dem Zuschauerrang: Für Frauen hieß die Quote Null.

Statt sich über bessere Quoten Gedanken zu machen, frönten die Herren der Schöpfung ihrer geistigen Wettkampfvorbereitung. Im Vergleich zum schlichten Mentaltraining eines Boris Becker erfreute sich der abergläubische Sportprofi der Antike einer Pluralität der Methoden: Es gab Zauber, Magie und Traumdeutung. Träumte der Sportler von einem dicken Kopf, brachte dies Glück, vorausgesetzt, er war reich, denn das griechische Wort für Kopf (kefalé) heißt auch Geldsumme. Dem Politiker jedoch zeigte der Traum vom dicken Kopf, daß sein Kopf geschwollen sein wird von den blauen Flecken, die ihm die Volksmenge beibringt. Gerd Michalek

Wolfgang Decker: „Sport in der griechischen Antike“. Beck- Verlag, Oktober 1995, 225 Seiten, 58 DM