piwik no script img

Das Ende einer freiwilligen Haft

Acht Monate im Kirchenasyl: Jetzt hat Sahize Simsek mit ihrer Familie Deutschland verlassen  ■ Aus Augsburg Klaus Wittmann

Schlagartig ist alles anders in der katholischen Pfarrei St. Raphael im Augsburger Vorort Steppach. Acht Monate lang lebten die 20jährige Kurdin Sahize Simsek und ihre Kinder Bilal (4) und Leyla (3) hier im Kirchenasyl. Es war, wie es Pfarrer Peter Brummer formulierte, eine freiwillige Haft bei Freunden. Immer wieder mußte Sahize Simsek damit rechnen, beim Verlassen des Kirchengeländes verhaftet zu werden. Anschließend hätte ihr die Abschiebung in die Türkei gedroht – in das Land, in dem ihr Mann Fariz nachweislich schwer gefoltert worden war.

„Vor einigen Tagen hat uns Frau Simsek verlassen“, berichtete nun der katholische Geistliche. „Es geschah auf ihren eigenen Wunsch hin. Sahize Simsek wollte wieder mit ihrem Mann zusammensein.“ Mehrmals hatte sich zuvor die Situation in Augsburg zugespitzt. Manchmal wurden sogar starke Polizeikräfte vor dem Pfarramt postiert. Während der acht Monate gingen mehrfach Morddrohungen in der Pfarrei ein. Ein permanenter Druck habe auf der jungen Frau und ihren Kindern gelastet.

Wohin Sahize Simsek und ihre Kinder gefahren sind, wollte er mit Rücksicht „auf das Wohlergehen und den Schutz der Familie“ nicht mitteilen. Der katholische Prälat Valentin Doering erklärte gestern in München, Fariz Simsek und seine Familie seien im Ausland: „Aufgrund humanitärer Überlegungen ist der kurdischen Familie in einem europäischen Nachbarstaat ein vorläufiges Bleiberecht gewährt worden.“ Er hoffe, daß dieses Bleiberecht für die in Deutschland abgelehnten Asylbewerber von Dauer sein werde. In welches Land die Familie ausgereist ist, wollte auch Doering nicht sagen. Über telefonische Kontakte, so eine Sprecherin der Augsburger Pfarrei, sei Fariz Simsek von der Ausreise seiner Familie informiert worden. Für die Ausreise sei ein Unterstützungskomitee der Familie mit Italien, Tschechien, Belgien, Kanada, den Niederlanden und weiteren Ländern in Kontakt getreten.

Fariz Simsek, der Ende Oktober wegen Landfriedensbruchs im Zusammenhang mit einer Blockade-Aktion von Kurden in Augsburg in Abwesenheit zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde, war seit Frühjahr untergetaucht.

Das achtmonatige Kirchenasyl der Familie Simsek, so Pfarrer Brunner, habe die Menschen seiner Gemeinde nachdenklicher werden lassen. Daß das derzeit praktizierte deutsche Asylrecht menschenfeindlich ist, sei überdeutlich geworden. Für die Beteiligten habe die Verhandlung zum Asylrecht in Karlsruhe durch die eigene Erfahrung eine ganz andere Wertigkeit bekommen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen