Zwischen den Rillen
: Zorn in the USA

■ Bruce Springsteens Abschied vom Amerika der Tapferen und Freien

Bruce Springsteen gehörte immer zur Sorte der solidarischen Musiker: ein Leben lang schien er seine Hörer zu begleiten. Manches durchlebte er stellvertretend für sie – immer und immer wieder. Noch einmal hetzte er durch „Badlands“ oder zeigte seinem Sohn „My Hometown“. Er schien daran zu glauben, daß man von einem 3-Minuten-Song mehr lernen kann als in 13 Jahren Schule.

Und weil wir hier von Lebenszeitaltern reden, und weil „Born to Run“ 1975 erschien und „Born in the USA“ 1984, und weil wir es mal nicht ganz so genau nehmen wollen und jetzt immer noch 1995 ist ... kann man vielleicht davon ausgehen, daß „The Ghost of Tom Joad“ ein Wendepunkt ist – wenn schon nicht in der Geschichte all dieser Menschen, die Springsteen tatsächlich Boss nennen, so zumindest in seiner eigenen.

Mit jeder Platte seit dem Debut „Greetings from Asbury Park“ hat er seinen Standpunkt neu verortet: „Born to Run“ lebte zum Teil noch von jugendlicher Unsicherheit, „Born in the USA“ war der Rückblick eines älteren Mannes, selten desillusioniert, oft romantisch verklärt und vor allem eine „Internationale der Unterklasse“, wie Tony Parsons fand. Erstmals nannte Springsteen Dinge beim Namen, erzählten seine Geschichten auch Geschichte, gingen über individuelles Lieben und Leiden hinaus.

Der Geist von Bruce S. Foto: Sony

Auf den ersten Blick scheint sich der nun 55jährige auf „The Ghost of Tom Joad“ nicht weiterentwickelt zu haben. Immer noch ziehen sich Eisenbahnlinien und Highways durch die Songs, finden sich die Helden in tatsächlichen Gefängnissen oder Kleinstädten in Ohio. Aber während er früher das Morgengrauen auch immer von der Hoffnung künden ließ, verspricht ihm nun eine „She“ ausgerechnet im letzten Song „Every cloud has a silver lining“ – und fügt noch mehr dieser ausgehöhlten Gemeinplätze an: Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, der frühe Vogel fängt den Wurm...

Springsteen macht sich nicht mehr gemein mit den Helden seiner Geschichte. Diesmal erzählt er nicht mehr von einem Ich, das sich aus all seinen Wünschen, Sehnsüchten und Ängsten zusammensetzt. Vor elf Jahren hieß es noch „I had a brother at Khe San / Fighting off that vietcong“, h: „Billy Sutter fought with Charlie Company / In the highlands of Quang Tri“. So viel „He“ und „She“ und so wenig „I“ und „Me“ war bei Springsteen noch nie.

Keine Durchhalteparolen mehr – Springsteen hat entdeckt, daß das Leben hin und wieder auch mal so beschissen endet, wie es verläuft. Exemplarisch hierfür der eröffnende Titelsong, der zwar beginnt mit dem kurzen Aufheulen einer Mundharmonika, die auch von „The River“ stammen könnte; aber schon Tom Joad, der Held aus John Steinbecks „Früchte des Zorns“, verweist darauf, daß Springsteen diesmal universeller sein wollte, daß er sehr wohl über den Bordstein all der Straßen geblickt hat, die er befahren hat. Und daß ihm das, was er da gesehen hat, nicht unbedingt gefallen hat.

Der Rückgriff auf die Depression, die Gleichsetzung der 90er mit den 30ern, mag nicht besonders originell sein, aber immerhin hat Springsteen die Zeichen der Zeit erkannt. In „Straight Time“ beschreibt er wie schon so oft zuvor die Agonie eines Durchschnittslebens, aber diesmal findet er nicht noch im Kleinsten den Grund zum Weitermachen, diesmal ist der Protagonist einfach „sick of doin' straight time“. Oder der Hobo aus „The New Timer“, der seine Familie verlassen hat: Alles klingt so vertraut, aber diesmal kann er nicht zurück, ist der Hobo eben kein guter Kerl im Herzen, sondern einer, der getötet hat nur um des Tötens willen. Früher undenkbar, daß Springsteen so jemanden zum Gegenstand eines Songs gemacht hätte.

Müßig, darüber zu spekulieren, ob diese Platte Springsteens Kommentar zu den Folgen der Reagonomics, zum aktuellen Zustand der USA ist. Wichtiger ist, daß er, wenn auch auf einer völlig anderen Sound-Ebene, eine Intensität zurückgewonnen zu haben scheint, die er seit „The River“ oder allerspätestens seit „Born in the USA“ verloren hatte.

Konsequent verweigert sich „Tom Joad“ dem Kunstgewerbe, das Springsteen einen Oscar eingebracht hat. Die Instrumentierung ist spartanisch, die Dynamik – früher einmal das beste am Stomp der E Street Band (deren Mitglieder man hier vergeblich sucht) – liegt im besten Fall hinter den Klängen. Natürlich klingt „Tom Joad“ immer noch nach Springsteen, kann man Vergleiche zum Beispiel zu „Nebraska“ ziehen, aber unweigerlich kommen einem Woody Guthrie oder Pete Seeger in den Sinn – auch wenn Springsteen nicht deren Optimismus teilt.

Springsteens gebrochenes Organ paßte schon immer besser zu seinen Balladen – hier erreicht es eine Realitätsnähe, deren Abgründe manchen erschrecken werden. Während er sich von den Klischees eines „land of the brave, land of the free“ verabschiedet hat und musikalisch und textlich in eine der dunkelsten Epochen von Gottes eigenem Land zurückgegangen ist, hat er an der unverbrüchlichen Solidarität, mit der er und seine Fans bisher verbunden waren, zumindest ein wenig gerüttelt.

Thomas Winkler

Bruce Springsteen: „The Ghost of Tom Joad“ (Columbia/ Sony Music)