Polnischer Regierungschef stellt Gegner kalt

■ Oleksy begegnet dem Spionageverdacht auf seine Art: Kritiker werden entlassen

Warschau (taz) – „Ich werde auf keinen Fall zurücktreten oder das Amt ruhen lassen. Nur Arbeit kann mich die schweren Vorwürfe vergessen lassen, die gegen mich erhoben wurden“, erklärte Jozef Oleksy in einem Radiointerview. Der polnische Ministerpräsident wird seit dem 19. Dezember öffentlich verdächtigt, seit Jahren für den sowjetischen, später russischen Geheimdienst gearbeitet zu haben. Oleksy bestreitet nicht nur die Vorwürfe, er sorgt auch dafür, daß alle wichtigen Gegner von der Bildfläche verschwinden.

Bereits am 22. Dezember, wenige Stunden, nachdem der Militärstaatsanwalt die Akte mit dem Beweismaterial gegen Oleksy an das Innenministerium zurückgegeben hatte, entließ der Regierungschef den stellvertretenden Innenminister Henryk Jasik. Am selben Tag endete auch die Amtszeit von Innenminister Andrzej Milczanowski. Das Innenministerium aber soll, nach dem Willen des Militärstaatsanwalts, General Ryszard Michalowski, die Beweise gegen Oleksy „in zwölf inhaltlichen Punkten ergänzen“ und die Akte dann erneut einreichen. Da aber der Ministerpräsident die Personalpolitik bestimmt, liegt es nun in den Händen Oleksys, ob die Vorwürfe gegen ihn tatsächlich geprüft werden. Zum kommissarischen Leiter des Innenministeriums hat er seinen Parteifreund Zbigniew Sobotka ernannt. Auf die Frage eines Sejm-Abgeordneten, warum Oleksy Jasik, der die internen Ermittlungen des Innenministeriums gegen ihn geleitet hatte, entlassen wolle, beantwortete der Ministerpräsident entwaffnend offen: „Das ist keine Frage nach dem Warum. Das liegt in meinen Kompetenzen.“ In den nächsten Tagen soll Oleksy den neuen Innenminister ernennen, der dann das belastende Dossier an die Militärstaatsanwaltschaft übergeben soll oder die ganze Angelegenheit beispielsweise „wegen Nichtigkeit“ niederschlagen kann.

Der neue Präsident Aleksander Kwaśniewski wußte bereits seit dem 11. Dezember von den Vorwürfen gegen Oleksy. Bisher fiel die Besetzung der drei Schlüsselministerien Inneres, Äußeres und Verteidigung in das Ressort des Staatschefs. Kwaśniewski aber, ebenfalls ein enger Parteifreund Oleksys, vertraut diesem so sehr, daß er ihm die gesamte Personalpolitik überläßt. Außerdem soll Oleksy nach dem Willen Kwaśniewskis neuer Vorsitzender der postkommunistichen Sozialdemokratischen Partei (SdRP) werden. Überdies hat Kwaśniewski Regierungschef Oleksy und seiner bisherigen Personalpolitik einiges zu verdanken. Ohne den nach wie vor amtierenden Justizminister Jerzy Jaskiernia – er gehört wie Oleksy dem Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) an –, stünde er heute möglicherweise nicht an der Spitze des polnischen Staates. Denn auch gegen Kwaśniewski wurde ermittelt – wegen falscher Angaben in seiner offiziellen Vermögenserklärung als Sejm-Abgeordneter und eines vorgetäuschten Hochschulabschlusses. Die Staatsanwälte, die die Aufhebung der Immunität Kwaśniewskis beantragt hatten, um ihn vor Gericht stellen zu können, entließ der Justizminister. Jetzt genießt Kwaśniewski die Immunität des Präsidenten und kann nur noch vor das Staatstribunal gestellt werden. Daran aber dürfte weder die Regierung von Oleksy noch die Koalition aus SLD und PSL (Bauernpartei) ein Interesse haben. Gabriele Lesser