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„Vor allen Dingen Harmonie. Freundschaft mit allen.“

■ 43 Jahre lang betrieb Ernst Schierenbeck an der Schlachte seinen Kiosk. Zu ihm kamen die Hafenarbeiter und die Chefs der Schiffahrts-Makler. Sie wollte alle dasselbe: Zigaretten, Süßigkeiten, Alkohol, und „einen schnacken“

Wenn einer die Schlachte in den letzten 43 Jahren von ihrer alltäglichen Seite her kennt, dann Ernst Schierenbeck. „Ernst“ war bis zu seinem Rückzug aufs Altenteil 1992 der Inhaber des Kioskes an der Schlachte, zu dem alle kamen, ihr Bier, ihre Zigaretten und ihre Süßigkeiten zu holen und auch ihr Schwätzchen zu halten. „Ernst“ ist ein Stück Nachkriegsgeschichte an dieser Ecke.

Gelernt hat „Ernst“ als KFZ-Handwerker, aber nach dem Krieg konnte er diesen Beruf nicht mehr ausüben. Aus Stalingrad kam er mit dem letzten Sanitätswagen raus. „Da haben die Fahrer zu mir gesagt: Mein lieber Freund, wenn Deine Wunde unterwegs aufgeht und wir müssen anhalten und kommen in Gefangenschaft, dann drehen wir Dir vorher den Hals ab.“ Aber dann ging alles gut, soweit man von gut reden kann: Lungensteckschuß. Heute noch steckt die Kugel in seinem Körper. „Ich habe 20 Minuten mit voller Besinnung auf dem Tisch gelegen“, die Ärzte haben alles versucht. Bei einem späteren Operationsversuch wurde auch das Herz in Mitleidenschaft gezogen. Ernst Schierenbeck hat sich an die Kugel in seinem Körper gewöhnt: „Ich habe Luftbeschwerden“, sagt er lapidar, und „wenn ich einen Schreck kriege, kann es mein Tod sein“.

1949 bekam er von der Kriegsfürsorge 1000 Mark, mit denen er sich eine Bretterbude an der Schlachte baute, etwa auf der Höhe der Zweiten Schlachtpforte. Die Gebäudezeile an der Schlachte lag in Trümmern, aber sie war Durchgangsstraße, „hier kamen die Hafenarbeiter vorbei“, die nach Hastedt fuhren – mit dem Fahrrad, versteht sich.

Die Martinistraße war damals ein kleines Sträßchen. Der Durchgangsverkehr kam von der Kaiserbrücke die Schlachte herunter und bog vor der Martinikirche links ab. „Du bist ja bekloppt“, bekam Ernst Schierenbeck damals von verschiedenen Seiten gesagt. Kurz nach der Eröffnung des Kioskes gab es wirklich eine Krise: Er setzte einmal eine Woche lang nur 90 Mark pro Tag um, und er überlegte, aufzugeben. „Mein Onkel war Finanzbeamter, der sagte: Du hälst durch“. Und dann ging es wirklich wieder bergauf. Die Häuser wurden langsam wieder aufgebaut, die Schreiber-Reederei hatte acht Pötte am Weser-Ufer liegen, die täglich nach Bremerhaven fuhren, nach Vegesack, nach Brake.

Das Schünemann-Haus wurde sehr früh wiederaufgebaut, da wurde anfangs der Weser-Kurier produziert – die Bremer Nachrichten waren wegen ihrer Haltung in der Nazizeit von den Amerikanern zunächst nicht lizensiert. Neben den Hafenarbeitern kamen so auch die Setzer.

Anfangs hatte Schierenbeck auch sonntags auf, „als es sich noch lohnte“. Später mußte er freitags eine Hilfskraft dazu engagieren – „für Lotto“. 300-400 Scheine hatte Ernst Schierenbeck, „eine der angenehmsten Annahmestellen“ sei sein Kiosk gewesen, da ist er sich sicher. Und auch eine angenehme Einnahmequelle.

Wie man das macht, einen erfolgreichen Kiosk? Ernst Schierenbecks Erfolgsrezept ist einfach: „Das kommt darauf an, wie man Kontakt zu den Leuten hat. Ich war ein Kontakt-Mensch schon während des Krieges. Man muß persönlich mit den Leuten können. Ich kann heute noch über den Kajenmarkt gehen, ich bin heute noch mit jedem einzelnen befreundet.“ Und „Ernst“ war sich auch anfangs nicht zu fein, sieben Tage die Woche zehn Stunden und mehr hinter dem Tresen zu stehen – er war eben „immer da“ für die Leute. „So gewisse Abteilungsleiter, die kamen hintenherum rein, und dann wurde gezwickt. So gemütlich wie da drin war es nirgends. Der eine saß auf dem Zeitungshaufen, der andere auf dem Kanonenofen.“ Dann wurde gebechert, „schreib die Flaschen auf, morgen früh kommst du nach oben, holst Dir Dein Geld.“ Wenn „Ernst“ von den alten Tagen schwärmt, dann kommt immer wieder dasselbe Wort: „Solch eine Harmonie... Ich habe nie Ärger gehabt.“

1954 mußte Schierenbeck an der Zweiten Schlachtpforte verschwinden und hatte die Möglichkeit, ein Stück weiter Richtung Erster Schlachtpforte neu zu bauen. „Das hat mich 15.000 Mark gekostet. Dafür hätte ich damals ein Zweifamilienhaus haben können.“

Das Eckhaus Schlachte 1, mit dem Eingang hin zur Ersten Schlachtpforte gerichtet, war eines der letzten Häuser, die wieder aufgebaut wurden – erst Ende der 50er Jahre. Plump & Heye betrieben dort ihre Schiffahrts-Speditionsgeschäfte. „Der war mir zu hochnäsig“, erinnert sich Ernst Schierenbeck. Aber Schlechtes will er eigentlich über niemanden sagen. „Der kam auch mal, sicher. Die ganzen Chefs kamen.“

Als die Martinistraße in den 60er Jahren gebaut wurde und einen großen Teil des Durchgangsverkehrs abzog, wurde es dennoch nicht ruhiger an der Schlachte. Die Firmen waren alle in die wiederaufgebauten Häuser gezogen, „ich konnte nicht klagen“.

Irgendwann ging dann aber das Schiffahrtsgeschäft doch zurück. In den Häusern arbeiteten auch nicht mehr soviele wie früher. Die Firmen sind kleiner geworden. 1992 ging „Ernst“ in Ruhestand.

Daß das Speditionsgeschäft sich auf eine Etage des Hauses Erste Schlachtpforte zurückzog, hat Schierenbeck selbst nur noch als „Spaziergänger“ erlebt. Als Spaziergänger hat er auch die Trinker gesehen, die neuerdings an „seinem“ Kiosk rumstanden. Sowas gab es früher nicht. „Ich höre das von den Leuten, darüber möchte ich mich nicht äußern. Ich gebe dazu keinen Kommenar. Ich habe jedenfalls keinen Ärger gehabt.“

Die Schlachte als Tourismus-Meile? „Da kann ich Ihnen gleich sagen: Das wird überhaupt nichts. Da ist doch nichts Attraktives. Wenn sie das Schulschiff Deutschland dahingelegt hätten, dann hätte ich gesagt: Gut.“ Aber so?

Wenn Schierenbeck heute an der Schlachte entlanggeht, dann werden die alten Zeiten wieder hervorgeholt. Was das war, damals? „Vor allen Dingen Harmonie. Freundschaft mit allen. Heutzutage hast Du keine Freunschaft mehr. Wenn ich daran zurückdenke, wenn neue Firmen kamen, sagten die: Aha, dein Name ist Ernst. Wir werden uns schon gut verstehen. Sowas gibt es heute nicht mehr.“

K.W.

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