Da waren's nur noch drei

■ Kein Happy New Year für den britischen Premier Major: Die Parlamentsmehrheit der Konservativen schwindet dahin

Dublin (taz) – Dem britischen Regierungschef John Major wurde das neue Jahr vermiest, bevor es überhaupt begonnen hatte: Kurz vor dem Jahreswechsel war die Tory-Abgeordnete Emma Nicholson überraschend zu den Liberalen Demokraten übergelaufen, und so beträgt die Unterhausmehrheit des Premiers gerade noch drei Sitze.

Emma Nicholsons Begründung: Die Tories seien rassistisch, heuchlerisch und undemokratisch. Der ehemalige Parteivorsitzende Norman Tebbit habe sie „unglaublich angepöbelt, weil ich asiatische und schwarze Frauen als Parteimitglieder rekrutiert habe“. Und als sie bei der Abstimmung über die Offenlegung der finanziellen Angelegenheiten der Abgeordneten mit der Opposition stimmte, wurde sie „von der Fraktionsführung völlig zur Schnecke“ gemacht. „Die angebliche Abstimmungsfreiheit ist absoluter Unsinn“, sagte Nicholson am Wochenende, „es hat mir sehr viel bedeutet, daß das Parlament sauber ist – vor allem wegen des schlechten Rufes, den es bei der Bevölkerung hat. Deshalb habe ich dafür gestimmt, und man hat mich fertiggemacht.“

Die Tory-Parteiführung reagierte wie gewohnt: Sie warf mit Dreck. Nicholson sei beleidigt gewesen, weil man sie nicht befördert habe, konstatierte Vizepremier Michael Heseltine. Rechtsaußen John Carlisle warf ihr vor, mit ihren Ansichten „im Unterhaus wie eine Prostituierte hausieren gegangen“ zu sein. Am Sonntag dämmerte es den Tories jedoch, daß ihre Rufmordkampagne immer mehr zum Eigentor würde. So verordnete man sich Schweigen.

Emma Nicholsons Lebenslauf gibt für Rufmörder ohnehin wenig her: Sie wurde taub geboren, weil ihre Mutter während der Schwangerschaft Röteln bekam, überwand ihre Taubheit als Teenagerin und wurde Chorleiterin an ihrer Schule in Wantage. Später erhielt sie ein Stipendium für das Royal College of Music und lernte Klavier, Orgel und Cello. Auch im Schach brachte sie es weit und verlor nur knapp gegen Weltmeister Garry Kasparow. Sie arbeitete als Computerprogrammiererin und Unternehmensberaterin, bevor Margaret Thatcher sie 1983 zur Vizeparteivorsitzenden machte. Vier Jahre später wurde sie in Devon im Südwesten Englands ins Parlament gewählt.

Allerdings schienen ihre Tage im Unterhaus gezählt, da sie schon bei den letzten Wahlen nur einen winzigen Vorsprung vor dem Kandidaten der Liberalen hatte, dem sie jetzt durch ihren Parteiwechsel den Unterhaussitz wegschnappen will. Ihr Urgroßvater William Nicholson war 1866 den umgekehrten Weg gegangen: Er trat von den Liberalen zu Disraelis Konservativer Partei über. Ein anderer Vorfahr war einer der vier Ritter, die 1170 den Erzbischof Thomas Becket in seiner Kathedrale von Canterbury ermordet hatten. Nicholson ist nach Alan Howarth, der zu Beginn des Tory- Parteitags zur Labour Party ging, innerhalb von drei Monaten bereits die zweite Abtrünnige vom linken Flügel. Der Premierminister reagierte trotzig: „Man hat mich für eine bestimmte Aufgabe gewählt“, sagte er, „und ich will diese Aufgabe vollenden. Ich erwarte, bis 1997 im Amt zu bleiben.“ Major kann den Termin für die nächsten Wahlen bis spätestens Mai 1997 hinauszögern – wenn ihm nicht noch mehr Abgeordnete wegsterben oder über Bord des sinkenden Schiffes springen. So kann seine Devise in den kommenden Monaten nur lauten: Bloß keine kontroversen Unterhausdebatten oder gar Abstimmungen, mit denen ein paar Hinterbänkler verärgert werden könnten. Besser noch überhaupt keine Abstimmungen. Am besten bis zum Neujahrstag 1997 im Bett bleiben. Ralf Sotscheck