Was das Klavier so hergibt

■ Heute abend bei Radio Bremen: Klavierzyklus „Auf schwarzen und weißen Tasten“

Es gibt kaum ein Instrument, das im Laufe der Kompositionsgeschichte so viele Funktionen ausgefüllt hat wie das Klavier bzw. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts das Cembalo. Am Anfang des 19. Jahrhunderts bekam der moderne Konzertflügel einen solchen Stellenwert, daß er die Literatur des neunzehnten Jahrhunderts entscheidend bestimmte. Wie wir wissen, hängt die Rezeption von bestimmter Musik und bestimmter Besetzung immer auch von Trends ab. Das Klavierspiel scheint im Augenblick nicht sonderlich gefragt. Als Peter Schilbach, damals Redakteur für Kammermusik bei Radio Bremen, in der Saison 1990/91 seine Reihe „Auf schwarzen und auf weißen Tasten“ gründete, „gab es gerade mal zwei Klavierabende in einer Spielzeit“. Er setzte mit seinen Engagements von Anfang an nicht auf berühmte InterpretInnen, sondern suchte nach sehr jungen Menschen oder solchen, die noch nie in Bremen waren. Als Pianist ist er dabei nicht auf Pressespiegel und Empfehlungen von Agenturen angewiesen, sondern besucht auswärtige Konzerte, ist Mitglied in Jurys von Klavierwettbewerben und entscheidet sogar nach Kassetten, wenn noch keine CDs produziert wurden.

So ist in diesem Zyklus, von dem heute abend mit Siiri Schütz das dritte Konzert stattfindet, der 18jährige Turiner Gianluca Cascioli der jüngste. Im Oktober 1994 hat er den ersten Preis im internationalen Klavierwettbewerb „Umberto Micheli“ gewonnen, ein Preis, juriert immerhin von Leuten wie Maurizio Pollini und Alfons Kontarsky. Schilbach: „Ich war selbst skeptisch, 18 ist sehr jung. Aber dann bot er ein interessantes Programm, und da habe ich entschieden: Er darf!“. Cascioli spielt die Sonaten op.26 und op. 27 von Ludwig van Beethoven und den ersten Band der Préludes von Claude Debussy. „Das Pendant auf deutscher Seite“ (Schilbach), die Berlinerin Siiri Schütz, 21 Jahre alt, ist eine Künstlerin, die bereits ihr Debut beim Berliner Philharmonischen Orchester unter Claudio Abbado hinter sich hat und auch Dirigieren studiert. Ist nicht doch häufig eine Diskrepanz festzustellen zwischen der manuellen Perfektion und der geistigen Reife? „Ja, natürlich. Aber dieses Risiko einzugehen, ist wichtig und aufregend. Von fünfen sind es vielleicht drei, von denen dann etwas Unbeschreibliches ausgeht: dann sind wir schon zufrieden. Das macht auch mehr Spaß als auf Nummer sicher zu gehen“. In Bremen spielt Siiri Schütz heute abend ein inhaltlich anspruchvolles Mammutprogramm von Frescobaldi über Bach, Beethoven und Chopin bis Anton Webern.

Zweiter Schwerpunkt der diesjährigen Reihe: PianistInnen, die auch komponieren. „Diese Personalunion war ja früher bei jedem Musiker der Fall. Da wollte ich einfach mal daran erinnern“. So spielte der Innsbrucker Thomas Larcher neben Schönberg, Mozart und Schubert eine eigene Komposition. Und Eliane Rodrigues aus Brasilien spielt neben Werken von Franz Schubert „15 Moments Musicaux“ aus eigener Feder.

Überhaupt achtet Schilbach ausdrücklich auf die Präsenz von Frauen, „über fünfzig Prozent studieren, bis hin zur erfolgreichen Teilnahme an Wettbewerben. Wo sind die denn später?“ Von den 32 Klavierabenden, die er seit 1990 organisiert hat, wurden dreizehn von Frauen gespielt, „das ist ein Schnitt, den es sonst in unserem Konzertbetrieb nicht gibt“.

Es gibt in Bremen seit dem vergangenen Jahr zwei neue große PianistInnenreihen: Konkurrenz oder Ergänzung? „Auf jeden Fall Ergänzung. Ich glaube schon, daß wir uns die Hörer gegenseitig bringen. Außerdem: Bruno Leonardo Gelber, Radu Lupu...das ist für uns uninteressant. Ich möchte absolute Novitäten bieten. Übrigens: Ich muß das auch. Wir müssen nicht über Einnahmen die Konzerte finanzieren, also können wir sorgfältig fördern. Das wird auch die Linie bleiben“. Der stetige Zuwachs an neugierigem Publikum gibt Schilbach recht. Heute abend wird der Zyklus mit dem dritten Konzert fortgesetzt.

Ute Schalz-Laurenze

Im Sendesaal von Radio Bremen, heute abend: Siiri Schütz, Deutschland; 6.1.: Gianluca Cascioli, Italien; 10.1.: Eliane Rodrigues, Brasilien; jeweils um 19.30 Uhr