Per Anhalter durch die Galaxis

■ Karlheinz Stockhausen erhält den Hamburgischen Bach-Preis

Anläßlich einer Preisverleihung wird mit Superlativen wenig gespart. Grund genug, im Vorfeld lobrednerisch etwas leiser zu treten. Tatsächlich mißlingt das aus aktuellem Anlaß: Der Bach-Preis der Stadt Hamburg wird heute an Karlheinz Stockhausen verliehen, dem widersprüchlichsten, kreativsten und unbescheidensten deutschen Nachkriegs-Komponisten.

Angefeindet, gehaßt, beschimpft, aber auch bewundert und kultisch verehrt schreibt Stockhausen seit über 40 Jahren an seinen Klangprojekten, die weniger einen Katalog einzelner isolierter Arbeiten bilden, denn mehr Bestandteile eines organisch wachsenden Gesamtkunstwerkes sind.

Als junger, neugieriger Komponist fand Stockhausen 1951 auf den Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt erste starke Impulse für seine klanglichen Visionen. Am elektronischen Studio des NWDR in Köln konnte Stockhausen erste Erfahrungen mit synthetischer Musik sammeln. Es folgten die bahnbrechenden Arbeiten Gesang der Jünglinge und Gruppen für drei Orchester. Von ersten szenischen Arbeiten (Aus den sieben Tagen) führte der Weg in die Anfänge seines gesamtkunstwerkartigen Opernzyklusses Licht, der in knapp sechs Jahren vollendet sein wird. Licht ist eine die 7 Wochentage mythisch-rituell durchleuchtende Klangaktion, die elektronische und konkrete Musik mit tänzerischen, gesanglichen und mimischen Formen verbindet. Keimzelle ist eine Super-Formel, eine Art musikalischer DNS, die alles steuert und wuchern läßt.

Für Stockhausen ist der Bach-Preis der Stadt Hamburg vielleicht ein kleines Trostpflaster für entgangene Aufführungsehren. 1992 sollte hier an der Staatsoper seine Oper Dienstag uraufgeführt werden. Finanzielle und aufführungstechnische Probleme ließen das Projekt scheitern. Stockhausen grollte sehr; böse Briefe gingen durch die Presse, und Leipzigs Opernintendant Udo Zimmermann konnte kürzlich eine in jeder Hinsicht spektakuläre Premiere an seinem Haus stattfinden lassen.

Mit Hamburg verbindet der Komponist aber nicht nur schmerzliche Erinnerungen. Die Hansestadt war Anfang der sechziger Jahre Stockhausens Wahlheimat. Mit seiner ersten Frau Doris Andreae lebte er in der Feldbrunnenstraße. Damals dirigierte er für die Deutsche Grammophon seine Musik für die Schallplatte. Heute betreibt er seinen eigenen Verlag.

In Kürten bei Köln lebt der Visionär und komponiert am Klang der Zukunft, die nicht unbedingt auf der Erde stattfinden muß: „Es könnte sich höchstens noch einmal etwas Vergleichbares ereignen, wenn man auf einem anderen Planeten landete und dort eine total andere Musik anträfe. Und das könnte sich nicht nur auf einem, sondern auf einer ganzen Reihe von Planeten ereignen...“

Wenn im Jahre 2002 mit der Oper Sonntag das ehrgeizigste Musiktheaterprojekt unserer Zeit seinen Abschluß finden wird, dürfte schon das nächste, vermutlich weitaus ambitioniertere Unternehmen seinen Anfang genommen haben. Ein Jahrtausend aus Licht? Eine Sekunde aus Licht?

Sven Ahnert