Press-Schlag
: Das Tor weit offen

■ Der FIFA-Vorschlag, Fußballtore zu vergrößern, rettet die Welt nicht

Tot ist Karl Rappan. Gestorben am Dienstag der Erfinder des „Schweizer Riegels“. Verkündet eine Kopfgeburt des Fußballweltverbandes FIFA am Tag darauf: Vergrößerung der Tore! Kalter Schauer: Zufall? Klar ist: Die Strategie des Schweizer Trainers beruhte auf der Zerstörung des gegnerischen Angriffsspiels durch Ansetzen der eigenen Außenläufer auf die gegnerischen Außenstürmer. Ihr Ziel: Verhinderung von Bällen in Toren.

Im Anfang, also 1863, waren diese Tore 7,32 Meter breit, kurz darauf 2,44 Meter hoch bei einer Breite und Tiefe der Pfosten und der Querlatte von maximal 12 Zentimeter. Rappan bisweilen eher weniger (wer erinnert sich nicht an das 5:7 gegen Österreich im 54er-WM-Viertelfinale?), andere Riegler wie Herrera, Trapattoni, Beckenbauer um so mehr, haben in den folgenden Dekaden bewiesen, daß diese Beschaffenheit des Gehäuses es ermöglicht, den Sinn des Spiels umzudrehen, ja geradezu ad absurdum zu führen.

Qualitativ, darüber ist man sich bei der FIFA klar, ist dem Tor wenig anzuhaben. Würde man dazu übergehen, die Regel aufzuweichen, nach der Pfosten und Latte aus Holz oder Metall sein müssen, was wäre gewonnen? Würde sich dadurch auch nur einmal mehr jene erfolgreich abgeschlossene Angriffshandlung ergeben, bei der das Spielgerät regelgerecht und vollständig die T.linie zwischen den T.pfosten überschritten hat? Es geht nur quantitativ! So murmelt also der FIFA-Generalsekretär Joseph Blatter aus dem gestrigen Stern: Man diskutiere im „International Board“ über „Experimente zur Vergrößerung der Tore“. Experimente? An Toren? Nicht zufällig ist es mit Josef Maier ein ehrwürdiger Hüter des Tores, der als erstes aufbegehrt: „Wer nicht trifft, der trifft auch nicht in ein größeres Tor.“ Doch genau das könnten aufwendig gefälschte Computerauswertungen von Sat.1 eindrucksvoll widerlegen! Würde man das Gehäuse, wie von Blatter beschrieben, um den „Durchmesser zweier Bälle verbreitern und um den eines Balles erhöhen“, das zeigt die Computeranimation, träfe der pfeilschnelle Ungar Czibor in Bern '54 nicht mehr den Pfosten, sondern in Toni Tureks Tor. Sappradi, 3:3. Und Neeskens' Ball wäre 1974 auch rein.

Nun mag man argumentieren, daß war, was war, und zähle, was komme. Ja gut, das ist richtig. Doch ist Geschichte auch ein Teil der Zukunft. Und jener Torrekord von Gerd Müller, der „in die Geschichte eingeht“ (Müller), tut das deshalb, weil er gegenwärtig nicht zu wiederholen ist. Und zukünftig auch nicht. Es sei denn? Genau.

Ja, ja: Fußballer sind so konservativ! Sagen nicht wir. Sagt Sepp Blatter. Wollen nicht erkennen, daß in dieser Welt alles größer wird. 1986 war's, als die FIFA für die Fernsehrechte der WeeMmen 1990 bis 1998 340 Millionen Franken erschachert hat. Dafür hat man als Gegenleistung 125 (1990) und 140 (1994) Treffer geliefert. In Frankreich demnächst noch ein paar mehr. Aber im nächsten Jahrtausend sollen die 32 Milliarden WM-Zuschauer der FIFA auch endlich richtiges Geld bringen. So eine Milliarde, hofft der Sepp. Also ist es nur billig, wenn dafür auch eine Milliarde Fernsehtore fallen.

Übrigens gibt es ja bekanntlich so um die 100.000 Tore in dieser Republik. Auf der mit über 170 FIFA-Mitgliedern bestehenden Erde gar 2,44 Milliarden. Alle grade 7,32 Meter kurz. Während also die Trefferquote ins Unermeßliche steigt, könnte die Arbeitslosenquote sinken. Gegen Null. Ein Planet rüstet seine Tore um. Der erste universumweit! Daimler sponsert, Sat.1 überträgt. „Das Tor“, so hat Ror Wolf dereinst weisgesagt, „war weit offen in dieser eisigen Winterluft.“

Wäre das nicht schön? Aber, hört Karl Rappans letzte Worte, dahingehaucht, neunzigjährig: „Verbreitert's die Torhüter!“ Bei Bayern München im Ausbildungscamp, so hört man, hat man hektisch die C-Jugend- Keeper um einen Balldurchmesser vergrößert, der Rest ist durch spezielle Ernährung schnell geschafft. Riegler sind wie Ratten! Viel besser: Keine Abwehr, so unsere Utopie, darf den Gegner mehr, wie Rappan das listig tat, auf dem mittleren Längsstreifen des Spielfeldes zum Angriff verleiten! Bis das alle kapiert haben, vergehen Lichtjahre. Und siehe: Es wird Tore regnen. Peter Unfried