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Zelten bei Minusgraden

■ Nach Feuer in besetztem Haus campieren seit einer Woche die jungen Obdachlosen auf dem Helmholtzplatz. Das Bezirksamt will nun erst einmal prüfen, ob es sich um einen Notfall handelt

„Wir werden uns erst mal im Bezirksamt zusammensetzen und beraten, ob es sich hier um einen Notfall handelt oder nicht“, lautete am Mittwoch abend die einzig konkrete Absichtserklärung von Wirtschaftsstadtrat Scholz (PDS) bei einem weiteren Runden Tisch zur Lage der ehemaligen Bewohner der Schliemannstraße 10 in Prenzlauer Berg. Seit dem Brand in dem besetzten Haus am zweiten Weihnachtstag, bei dem zwei Menschen starben, leben die etwa 30 Jugendlichen in einem Zelt auf dem Helmholtzplatz. In zwei Metallfässern halten sie mit Holzabfällen und ausrangierten Weihnachtsbäumen Feuer in Gang, um sich gegen die Kälte zu behaupten.

„Ich war jetzt jeden Tag mehrere Stunden bei den Leuten auf dem Platz, aber vom Bezirksamt habe ich da niemanden gesehen“, ärgerte sich ein Anwohner beim Runden Tisch über die Zurückhaltung der Bezirkspolitiker, „es gab keinerlei Nachfrage, ob es Wärme, Essen oder Feuerschutz an Silvester gibt.“ Selbst die auf dem Platz stehende öffentliche Toilette blieb nachts verschlossen. „Bei jedem normalen Haus wäre umgehend Ersatzwohnraum bereitgestellt worden“, klagte eine Nachbarin. Sozialstadtrat Reinhard Kraetzer (SPD) schwieg sich zu den Vorwürfen ebenso aus wie zu dem Vorschlag des BVV-Vorstehers Günter Bärwolff (PDS), die Obdachlosen sollten ein offizielles Bittschreiben an das Bezirksamt schicken, damit sie dort ein Aktenzeichen bekämen und besser bearbeitet werden könnten.

„Eine Unterbringung im Rahmen der Kältehilfe und des Kindernotdienstes wollt ihr ja nicht“, entschuldigte Kraetzer seine Passivität. „Dann hieße es sofort, ihr seid ja versorgt, und der zweite große Schritt würde vom Tisch gewischt“, protestierten die Obdachlosen. Sie wollen auf jeden Fall weiter als Gruppe zusammenleben und hatten daher mit einer Kurzbesetzung auf leerstehende Wohnungen in der Raumerstraße 33 hingewiesen. „Die wollen die Obdachlosen vereinzeln, damit man sie nicht sieht. Aber das lassen wir nicht mit uns machen.“ Schon 1994 war nach einer Besetzung in der Kastanienallee 71 eine einjährige Wohnmöglichkeit geschaffen worden. Teile der Bewohner konnten anschließend untergebracht werden, andere landeten in der Schliemannstraße und jetzt auf dem Helmholtzplatz.

Zum Runden Tisch war schon vor Weihnachten eingeladen worden, da Baustadtrat Mathias Klipp (Bündnis) die Schliemannstraße 10 wegen Einsturzgefahr räumen lassen wollte. Eine Sanierungsgenehmigung wollte er nicht erteilen, um die dort geplante Grünfläche nicht zu gefährden. Die Grundstückseigentümer wollen einen Neubau durchsetzen. Nach dem Brand sperrte Klipp das Haus. Kraetzer hatte zwar Schlafplätze bereitgehalten, aber niemand hatte die Besetzer darüber informiert. Gereon Asmuth

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