Quadratur des Vierecks

Köln verbeugt sich mit einer schwachen Malewitsch-Retrospektive erneut vor dem Kunstsammler und Schokoladenmäzen Peter Ludwig  ■ Von Stefan Koldehoff

Die Finger beider Hände reichen schon lange nicht mehr aus, um aufzuzählen, wie viele Ausstellungen in den vergangenen Jahren das Werk von Kasimir Malewitsch im Westen Europas bekannt gemacht haben. 1984 zeigte die Kestner-Gesellschaft in Hannover „Russische Avantgarde“ aus der Sammlung des Moskauer Diplomaten George Costakis, im selben Jahr präsentierte die Josef-Haubrich-Kunsthalle in Köln „Meisterwerke russischer Malerei“. Ebenfalls in Köln war 1986 und 1993 „Russische Avantgarde“ der Sammlung Ludwig, in Lugano 1988 „Revolutionäre Kunst aus sowjetischen Museen“ zu sehen. 1992 übernahm das Stedelijk Museum in Amsterdam die so ausufernde wie programmatische Frankfurter Übersichtsschau „Die große Utopie“, und ein Jahr später zeigte die Berliner Galerie Stolz in einer kleinen, aber feinen Ausstellung „Kreuzwege – Russische Avantgarde im 20. Jahrhundert“. Malewitsch war jeweils umfassend und prominent vertreten. Seit der großen Spätwerk-Retrospektive, die sich 1980 in der Düsseldorfer Kunsthalle der figurativen Fortsetzung der bis dato überwiegend gegenstandslosen Malerwelt widmete, hatte er seinen festen Platz als Wegbereiter der Moderne wenigstens im Westen sicher. In der Sowjetunion galt Malewitsch als unerwünschter „Formalist“, dessen Werk seit 1927 nicht mehr gezeigt wurde. Erst die überragende Gesamtschau 1988/89 in Leningrad, Moskau und Amsterdam rehabilitierte im Zeichen der Perestroika den Künstler und sein Lebenswerk.

In diesem Winter soll der an der Außenwand des Museums schreierisch plakatierte Name Malewitsch einmal mehr für lange Schlangen an den Kassen sorgen – im selben Haus, in dem schon vor zwei Jahren die eher enttäuschende Ausstellung der russischen Avantgarde aus der offenbar unerschöpflichen Sammlung Ludwig vor allem der Legitimation eines neu aufgelegten Kataloges galt. Auch diesmal war es wieder der allmächtige Kölner Schokoladenmäzen, dessen Interessen Museumsdirektor Marc Scheps seine Ausstellungspolitik bereitwillig unterordnete. Bevor das altehrwürdige Wallraf-Richartz-Museum mit Werken von Stefan Lochner bis Vincent van Gogh den bislang gemeinsam genutzten Neubau neben dem Dom räumen muß, um vorläufig auf der Straße zu stehen, will der seit jeher kulturpolitisch so ambitionierte wie bekanntermaßen eitle Peter Ludwig seine an die Stelle der Wallraf-Richartz- Sammlung rückende Picasso- Sammlung in Rußland zeigen. 1994 wurde deshalb ein Kooperationsvertrag zwischen dem Museum Ludwig und dem Staatlichen Russischen Museum Sankt Petersburg geschlossen. Bestandteil war unter anderem die nun in Köln gezeigte Malewitsch-Ausstellung, die vor allem aus dem in Sankt Petersburg gehüteten Nachlaß des Künstlers besteht.

Neue Erkenntnisse über Malewitsch gibt es in Köln kaum. Zwar hatte Evelyn Weiss als verantwortliche Kuratorin bei der Eröffnung noch zweckoptimistisch geraunt, es gebe trotz aller inzwischen offenstehenden Archive noch immer „viele Rätsel und Fragen um Malewitsch“, die Ausstellung der 100 Gemälde und 80 Zeichnungen von Malewitsch und von 100 Werken seiner Adepten wirft aber weder Fragen auf, noch beantwortet sie welche. Zwar gibt es eine Reihe beachtenswerter Umdatierungen, daß Malewitsch, weil in seiner die materielle Realität durch spirituelle Energien überwindenden Theorie des Suprematismus des öfteren Werke nachträglich datierte, ist aber seit langem bekannt und wenig erheblich. Zwar wird im insgesamt sorgfältig edierten Katalog ein bislang unveröffentlichter Brief abgedruckt, in dem Malewitsch die geistige Nähe Arthur Schopenhauers sucht, auch diese Verbindung ist aber in der Forschung seit zwei Jahrzehnten unumstritten, statt dessen fehlen ausführliche Provenienzangaben.

Dabei wären die besonders bei einer suprematistischen Komposition aus der Sammlung Ludwig interessant gewesen. Das Werk befand sich nach Recherchen des seriösen Londoner Branchenblattes The Art Newspaper bis vor zwei Jahren in der Sammlung des Moskauer Kulturjournalisten Nikolaij Chardschijew. Als der damals 90jährige 1993 Moskau in Richtung Amsterdam verließ, soll ihm die Kölner Galeristin Krystyna Gmurzynska behilflich gewesen sein, einen Teil der wertvollen Privatsammlung Chardijews entgegen den russischen Zollbestimmungen in den Westen zu bringen. Die Rolle der Kunsthändlerin, bei der auch Peter Ludwig kaufte, sollen Dokumente belegen, die 1994 am Moskauer Flughafen auftauchten. In der Kölner Ausstellung ist die Auseinandersetzung verständlicherweise kein Thema.

Großzügig gehängt, belegen dort die hochkarätigen Leihgaben aus Sankt Petersburg, Amsterdam, Basel, New Haven, New York und Stuttgart Malewitschs engagierten Weg durch die Ismen der Kunstgeschichte. Zwischen 1903 und 1907 entstandenen impressionistischen Werken folgt eine Landschaftsphase, die an Cézanne und Seurat erinnert. Über den Kubismus und den Futurismus (1913 bis 1917) und schließlich ab 1915 auch über das Porträt findet Malewitsch schließlich zum Suprematismus, seiner analog zur auch ihn anfangs begeisternden russischen Revolution entwickelten Theorie der gesellschaftlichen Erneuerung durch radikale Gegenstandslosigkeit als ästhetische Utopie: zunächst rote, später dann nur noch schwarze Kreise, Kreuze und Quadrate. Daß sie gar keine vier gleichlangen Seiten haben, gehört zum Konzept: Wichtig ist Malewitsch nur noch die Idee vom Quadrat, nicht mehr dessen akkurate Ausführung. Im letzten Raum der Ausstellung hat Evelyn Weiss das Spätwerk konzentriert, in dem Malewitsch sich noch einmal dem Impressionismus zuwendet. In Habitus und Ornat an Renaissanceporträts gemahnend, stellt er noch einmal seine Ehefrau und sich selbst dar.

Mit die wichtigsten nichtrussischen Leihgeberinnen für die Kölner Retrospektive sind die schon seit Jahrzehnten erfolgreich um die russische Avantgardekunst bemühten New Yorker Leonard Hutton Galleries. Sie hatten dem seit jeher zum universalistischen Monumentalismus tendierenden Museum Ludwig bereits einen Monat vor dessen Ausstellungseröffnung mit einer eigenen Malewitsch-Schau den Weg gewiesen. Konzentriert ausgewählt, waren in New York bis Ende November 64 Arbeiten überwiegend auf Papier zu sehen, die ebenso einen Überblick über das Werk zu geben vermochten, wie sie dessen Essenz zusammenfaßten. Wenigstens die Lektüre des Katalogs zur New Yorker Ausstellung sollte den Besuch in Köln ergänzen.

„Kasimir Malewitsch – Werk und Wirkung“. Museum Ludwig Köln, noch bis 28. Januar 1996. Katalog: 270 Seiten mit zahlreichen Farb- und Sschwarzweiß-Abb., DuMont-Verlag Köln, 54 DM

„Kazimir Severinovich Malevich“. Leonard Hutton Galleries, New York (Tel.: (001) 212-751 73 73, Fax: (001) 212-852 22 61). 80 Seiten mit zahlreichen Farb- und Schwarzweiß-Abb. 25$