Unsere vernetzte Hyperkugel

■ Peter Sloterdijk eröffnet „Vom Verschwinden der Wirklichkeit“

Peter Sloterdijk verdanken wir die Unterscheidung, daß alle Philosophie entweder auf den missionarischen Feldprediger oder den ungebundenen Künstler zurückgeht. Der Wiener Philosoph Sloterdijk hat sich immer dem zweiteren verbunden gefühlt, was kaum verwundert, denn wer in seinen Schriften liest, wird dort immer auch eine gewisse „künstlerische“ Freiheit und schriftstellerische Eleganz entdecken, jedenfalls aber die Bemühung eines eloquenten Stils. Das unterscheidet ihn durchaus wohltuend von so manchem Fachkollegen, mithin erlaubt das kreative und flexible Handling von mehr oder weniger philosophischen Kategorien eine ergiebige Auseinandersetzung mit der Gegenwart und kompensiert zudem als eine Art Lockerungsübung sein ansonsten eher düsteres und schweres Pathos.

Denn durchgängiges und zugleich variantenreiches Motiv im Denken Sloterdijks ist Verfall und Verlust, sei es der Vernunft, der Politik, der Kultur oder gleich des ganzen Planeten, unserer medial „vernetzten Hyperkugel“, die, anstatt als aufgeklärte Weltzivilisation zu erblühen, im Zeichen triumphalen Unheils erstrahlt, will heißen: an dem mit der Aufklärung freigesetzten „Planetarisierungs-Streß“ zu ersticken droht. So beanspruchte einst die Vernunft, in ihrer universalen Geltung die Menscheit zu beglücken, doch findet sie sich mittlerweile von der Universalität des monetären Tauschprinzips, an dem sie sowohl verstohlen als auch fortschrittsgläubig partizipierte, längst überholt. Es versammelt sich eine „Monster-Internationale der Endverbraucher“ und – wie in einer Art Rückkehr des Verdrängten – tauchen die Gespenster der Vergangenheit wieder auf, die „Rache des Lokalen und Individuellen“, der Kampf aller gegen alle in Gestalt von Renationalisierung, Reichsphantasien und Stammeskult zur einen Seite, Weltflucht, Innerlichkeit und Stumpfsinn zur anderen.

In dieser Perspektive erscheint die Weltgeschichte als eine einzige Neurose, als eine „Geschichte von Manipulationen am Mutter-Kind-Feld“, einem wie auch immer bestellten „Ganzen, das den Test der Geschichte nicht unbeschädigt“ überstanden hat. Das stolze, die Moderne begründende Subjekt, der Mensch, hat sich selbst aus der Einheit mit sich und der Natur verstoßen, er ist ein dahinstolpernder Irrtum, ein Seins-Mißgeschick. Allerdings träumt auch Sloterdijk von einer künftigen „Hyperpolitik“, von einem sich selbst „wiederholenden“ Menschen, der sich wieder an die verlorene Humanität anzubinden vermag – eine letzte Anstrengung noch, eine letzte Überschreitung, ein „Hinüberfallen ins Unbekannte . . .“. Ob das gutgehen kann, wird uns Peter Sloterdijk am Dienstag um 20 Uhr im Literaturhaus in seinem Vortrag „Untergang des Wirklichen. Anfang des Monströsen“ erzählen.

Christian Schlüter