Trophäen auf Rädern in Riga

In der lettischen Hauptstadt gibt es das einzige Automobilmuseum der gesamten Ex-UdSSR. Dort kann man wunderschöne alte Modelle bewundern, die 1945 in Deutschland erbeutet wurden  ■ Aus Riga Anita Kugler

Wer töten will, ist in Lettland gut aufgehoben. In einer Broschüre des Forstministeriums, die sich auch an deutsche Jäger richtet, wird der Wildreichtum des Landes angepriesen. Der Schuß auf einen Elchbullen kostet 300 Mark plus 180 Mark Lizenzgebühren. Für die Treibjagd auf Wölfe müssen 1.000 Mark hingelegt werden und für den – in Westeuropa fast ausgerotteten – Luchs 2.000 Mark. Weil das Land außer seiner Schönheit nicht viel anzubieten hat, werden die Naturresourcen gnadenlos geplündert. „Wo sollen die Devisen sonst herkommen?“ fragt Ministerialrat Cletins und läßt den Aktenkoffer mit Nummernschloß zuschnappen.

Es gibt aber auch unblutige Freuden in Lettland. Mittelalterliche Ordensburgen, prachtvolle Hansearchitektur und spektakulären Jugendstil. Und technische Sensationen, deren Wert noch durch die Tatsache gesteigert wird, daß in den verarmten Ländern des alten Ostblocks nichts, was irgendwie noch rollt, verschrottet wird. In Riga, das ist die Sensation, steht das einzige Automobilmuseum der ehemaligen Sowjetunion.

Zu besichtigen sind rote, schwarze, gelbe, silberne, kleine, große Wunderwerke, Nutzfahrzeuge und luxuriöse Staatskarossen, halb ausgeweidete Ruinen und restaurierte Kostbarkeiten, die nirgends sonst auf der Welt noch einmal zu finden sind. Allein das Museumsgebäude ist eine Sehenswürdigkeit. Die postmoderne, verglaste Hauptfassade hat die Form eines riesigen Rolls-Royce- Kühlergrills. Mit Sicherheit ist dieses Museum das Schönste, was die Sowjets dem Land hinterlassen haben, meint der Direktor Edvins Liepins. „Dem Monopol sei Dank.“ Und der deutschen Kapitulation.

„Das war nämlich so“, erzählt der Direktor mit dem allerfreundlichsten Lächeln. 1945 sei ja nicht nur die offizielle Trophäentruppe der Roten Armee durch deutsche Lande gereist, um Bibliotheken und Kunstsammlungen nach Moskau zu repatriieren. Nein, da gab es auch noch die vielen einfachen Soldaten, ständig auf der Suche nach privater Entschädigung. Wer ein Fahrrad von der Straße weg erbeutete, war selig, „und wie stolz erst – stellen Sie sich das mal vor – war der Soldat, wenn er ein Auto im Hof endeckte“. Und so kam es, daß nach 1945 Hunderte, Aberhunderte, wenn nicht Abertausende Automobile gen Osten rollten. Natürlich gehörten sie zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr dem glücklichen Räuber, sondern dem vorgesetzten Offizier oder dem Vorgesetzten des vorgesetzten Offiziers oder dem Politruk oder dem KGB und am Ende mit „Sicherheit“ einem Apparatschik des Kremls.

Zum Beispiel der Rolls-Royce, Silver-Wraith, Jahrgang 1939. Es ist einer der wenigen Wagen, dessen Erst-, Zweit-, Drittbesitzer rekonstruierbar sind. 1945 gehörte dieses Auto, das Rolls Royce nur in zwei Exemplaren für die Internationale Automobilausstellung 1939 in Berlin gebaut hatte, dem schlesischen Aristokraten und Großgrundbesitzer Michael Karl von Althan. Nachdem es einfache Soldaten, dann Offiziere, dann Oberoffiziere nacheinander beschlagnahmten, landete der Wagen 1946 im Fuhrpark des sowjetischen Außenministers Molotow. Dieser schenkte die inzwischen auf diskret schwarz umlackierte Kostbarkeit um 1950 dem Chefarchitekten von Leningrad zum Dank für den Wiederaufbau der Stadt. Irgendwann in den sechziger Jahren landete der Wagen dann beim Präsidenten aller Landwirtschaftskolchosen in Estland. Als der Chef des Rigaer Oldtimer-Clubs, Vitors Kulbergs, das Auto 1982 bei einem estnischen Bauer endeckte und gegen einen Lada eintauschte, war es „in einem schrecklichen Zustand“. „Der hat damit Kartoffelsäcke herumgefahren“, erzählt Edvins Liepiens. Die Restaurationsarbeiten und das erneute Umfärben auf Silber kosteten unendliche Mühe. „Jetzt könnten wir damit aus der Halle fahren.“

Auch die vielen Horch-, BMW- und Mercedes-Benz-Raritäten, die in dem Museum aberwitzig dicht an dicht stehen, sind „Beuteautos“. Eines, ein knallrotes Horch-Cabriolet von 1939 mit einem drei Meter langen Kühler – „Kenner wissen, den gab es nur zweimal“ – gehörte „vermutlich“ Hermann Göring. X-mal habe dieses Auto den Besitzer gewechselt, bis Mitglieder des Automobilklubs von Riga den Wagen „total verrostet“ in einer Sowchose nahe Smolensk fanden.

Ein Beuteauto ist ebenfalls das wertvollste Stück in der Rigaer Sammlung. Das Wunderwerk ist ein Auto-Union-Rennwagen aus dem Jahre 1938, mit einem 520 PS starken 16-Zylinder-Motor. Innerhalb von anderthalb Minuten konnte dieser nur 60 Zentimeter Meter hohe Wagen eine Spitze von 340 Kilometer pro Stunde erreichen. Das einzige Brüderchen, das es weltweit noch davon gibt, steht im Deutschen Museum in München. Der Silberpfeil ist 1948, während der kompletten Demontage der Auto-Union-Werke in Zwickau, nach Rußland gekommen und sollte, als Auto schon nicht mehr erkennbar, 1976 in die Schrottpresse des Moskauer Automobilwerks ZIS wandern. Aber da war der rührige Rigaer Oldtimer-Club davor.

Damals besaß er noch keine Museumsräume, war aber als einziger „Schnauferl-Club“ in der ganzen Sowjetunion überaus berühmt. Nach vielem Hin und Her bekam der Club den „Schrott“. Und als er dann endlich in Riga in einem Depot stand, kam ein reicher US-Amerikaner und wollte ihn für viele tausend Dollar kaufen. „Das hätten wir ja gerne gemacht, um einen Museumsbau davon finanzieren“, berichtet Liepins, damals Mitglied des Oldtimer-Enthusiasten-Clubs. Aber Moskau sagte njet. Der „Schrott sei Symbol des Sieges über den Hitlerfaschismus und unverkäuflich“.

Für das Nein aus Moskauer ist Liepins heute dankbar. Denn einige Jahre später, 1989, wurde das Museum mit etwa 300 Ausstellungsstücken endlich eingeweiht. Zwar noch auf Beschluß des Kulturministeriums in Moskau, aber schon finanziert vom eigenen lettischen Staatshaushalt. Auf diese Feststellung legt der Direktor Wert. Zu besichtigen sind seither in Riga nicht nur die Trophäen aus Nazideutschland, sondern auch das gesamte Spektrum der Automobilkultur des früheren Ostblocks. Der Moskovich, die russische Version des Opel-Kadetts, der Tatra aus der Tschoslowakei, der Polski-Fiat aus Warschau, der Trabant aus der DDR. Und zu sehen ist, wie überaus fasziniert Nikita Chruschtschow nach Detroit schielte. Die in seiner Ära in Moskau und Gorki entworfenen Modelle ähneln alle irgendwie den Lincolns und Packards. Persönlich fuhr er am liebsten das Orginal. Einen gepanzerten Cadillac mit zehn Zentimeter dicken schußsicheren Scheiben.

Der Besucherandrang in dem Museum war anfangs gewaltig, im ersten Jahr kamen 300.000 Besucher. Jetzt zählt Liepins gerade mal 35.000 Neugierige. Der Eintrittspreis von 30 Centime, etwa eine Mark, ist den Menschen zu teuer. Für das gleiche Geld kaufen sie lieber ein Brot oder ein Pfund Margarine. Zudem liegt das Museum zehn Kilometer nördlich der Stadt, und die Preise für Busfahrkarten haben sich seit 1989 verdreifacht.

Finanziell kommt das vom Staat nicht subventionierte Museum heute so knapp über die Runden. Für einen Katalog war bisher kein Geld da. Ein Fünftel des Budgets wird durch die Eintrittskarten erwirtschaft, eine weitere Hälfte durch die „freie Marktwirtschaft“. Vitors Kulberg, die Seele des Oldtimer-Clubs, ist inzwischen zum größten VW- und Audi-Händler von Lettland avanciert und hat jetzt Teile des Rolls-Royce-Kühlergrill-Gebäudes für die Repräsentation der aktuellen Modelle gemietet. Und dort, wo den ursprünglichen Plänen nach eine Restaurationswerkstatt für Oldtimer hätte sein sollen, läßt er kaputte VWs reparieren. Der Rest des Budgets kommt zusammen, indem die kostbaren Autos, vor allem die Unikate, durch die Automobilausstellungen Europas touren.

Unikate sind vor allem die Modelle von „Riga-Baltics“, der 1898 gegründeten deutsch-russischen Automobil-Aktiengesellschaft und ihrer Tochterfirma ab 1909, der „Russo-Baltique“. Über die Geschichte der bislang völlig unbekannten Automobilfabrikation in Lettland schreibt Direktor Liepins gerade ein Buch. Wenn er von seinen Recherchen und den kostbaren Fotos in seinem Archiv berichtet, leuchten seine Augen.

Ein Kapitel wird den Jahren 1937 bis 1941 gewidmet sein. Da produzierte nämlich in der berühmten Rigaer Waggonfabrik eine lettische Tochterfirma des amerikanischen Multis Ford den „Ford Vairogs“ (englisch „Victory“, deutsch „Sieg“) der eigentümlicherweise aber dem Vorkriegs-Opel-Kapitän ähnlich sah. Oder sah der Opel dem Ford ähnlich? Sicher ist jedenfalls, daß während des Krieges in dieser Waggonfabrik die Heereskraftfahrzeugstelle der Wehrmacht, an der Ostfront liegengebliebene Opel- Blitz-Lastwagen reparieren ließ. Nach dem Krieg, unter sowjetischer Besatzung, wurde in Riga nie wieder ein Auto gebaut.

Es war dem fehlenden Geld in Riga zu verdanken, daß 1992 bei der Internationalen Automobilausstellung in Berlin ganz besondere Unikate zu sehen waren. Eines empörte die Traditionsfirma Rolls Royce so sehr, daß sie die unverzügliche Entfernung des Wagens verlangten. „Es gibt keine beschädigten Rolls-Royce“, argumentierte sie. Dabei ist das der Witz der Geschichte.

Denn zu besichtigen war in Berlin und jetzt wieder nur in Riga der orginal Silver Shadow, den Leonid Breschnew 1980 volltrunken gegen einen Lastwagen gesteuert hatte. Hinter dem komplett zermatschten Kühler sitzt der alte Staatslenker am Steuer. Lebensecht aus Wachs, der Kopf nach hinten geschleudert, die Augen schreckhaft aufgerissen. Ganz so, als sehe er in einer Vision voraus, daß zehn Jahre später sein ganzer Staat gegen die Wand gefahren ist.