■ Israel sperrte in der Nacht zum Sonntag seine Grenzen zu den autonom verwalteten Palästinensergebieten ab. Hintergrund waren die wüsten Rachedrohungen vieler Palästinenser, die Israel die Ermordung des Bombenbauers Jahja Ajasch anlasten
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Israel sperrte in der Nacht zum Sonntag seine Grenzen zu den autonom verwalteten Palästinensergebieten ab. Hintergrund waren die wüsten Rachedrohungen vieler Palästinenser, die Israel die Ermordung des Bombenbauers Jahja Ajasch anlasten

Manifestation der nationalen Einheit

Das Begräbnis des Hamas- Bombenbauers Jahja Ajasch wurde zur größten Demonstration in der Geschichte des Gaza-Streifens. Zwischen zweihunderttausend und dreihunderttausend Menschen beteiligten sich an dem Trauermarsch für den Islamisten, dem seine Fertigkeiten im Bombenbasteln den Spitznamen „Ingenieur“ eingebracht hatten.

Unter den Anwesenden waren längst nicht nur die Anhänger von Hamas. Zu seinem Begräbnis kam buchstäblich jedermann; Leute verschiedenster Ansichten, Junge und Alte verwandelten das Ereignis in eine höchst emotionale Manifestation der nationalen Einheit der Palästinenser. Unter anderen erschienen Vertreter der linken Oppositionsgruppen „Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) und „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP). Sie erklärten ihre Anwesenheit mit der „Notwendigkeit des Protests gegen die weitere israelische Präsenz und Einmischung in unsere internen palästinensischen Angelegenheiten“.

„Was soll denn das für ein Friedensprozeß sein, wenn die Israelis bei uns ungestört umbringen, wen sie wollen?“ fragte eine Frau aus einem Block des beinahe endlos wirkenden Zuges. In der Menge befanden sich bekannte Vertreter der Fatah, der von Jassir Arafat geführten größten PLO-Fraktion – eigentlich Erzfeinde des Ermordeten. „Wir haben eine Reihe guter Gründe für unsere Anwesenheit. Aber ich will und kann jetzt keine Einzelheiten darüber erzählen“, sagte Sufian Abu Zaid, der bisherige Chef der Israel-Abteilung bei der Fatah-Führung in Gaza. Sogar Jassir Arafat ließ sich beim Kondolenzbesuch bei der Hamas-Führung in Gaza fotografieren. An der Beerdigung nahm der Chef der palästinensischen Autonomieverwaltung jedoch nicht teil. Das Establishment der palästinensischen Autonomieverwaltung war offensichtlich darauf erpicht, kurz vor den Wahlen bei einer solchen Gelegenheit elementarer Volkstrauer nicht außen vor zu bleiben.

Beim Eingang zum Friedhof standen palästinensische Polizisten stramm Spalier. Der Kommandant der für die öffentliche Ordnung zuständigen „blauen“ Polizei, General Ghazi Dschabali, betonte, daß „der palästinensische Kämpfer“ Ajasch nicht auf den Fahndungslisten des palästinensischen Sicherheitsdiensts gestanden habe. Für seinen Tod trage eindeutig Israel die Verantwortung. Während Hamas das Stillhalteabkommen mit Arafat respektiere, habe Israel durch die Ermordung den Vertrag mit den Palästinensern gebrochen. Viele Palästinenser sind der Meinung, daß das Attentat auf Ajasch den durch den Rabin-Mord ins Zwielicht geratenen israelischen Geheimdiensten einen spektakulären Erfolg liefern sollte. Rijad Sanun, der bisherige palästinensische Gesundheitsminister, meinte am Rande des Trauerzugs: „Ich muß hier gegen einen besorgniserregenden israelischen Terrorismus protestieren, der ausgerechnet zu einem Zeitpunkt kommt, an dem wir mit Hamas ein Abkommen zum Gewaltverzicht erzielt haben. Es macht den Eindruck, als ob jemand die Absicht gehabt hätte, dieses Abkommen zu torpedieren.“

Besonders erregt sind viele Palästinenser auch über die neuerliche Absperrung des Gaza-Streifens und des Westjordanlandes durch israelische Militärs – eine israelische Reflexhandlung auf jede Form von Unruhen in den autonomen Gebieten. Der Vertreter der mit Arafat kooperierenden „Demokratischen Palästinensischen Union“ (Fida), Dschamal Zakut, beschuldigte in seiner Grabesrede Israel „eines Verbrechens gegen den Geist der innerpalästinensischen Versöhnung und Einheit“. Die richtige Antwort darauf laute „Festigung der Volkseinheit“.

Die Familie des Ermordeten – und mit ihr große Teile der islamischen Bewegung – macht dagegen die palästinensischen Behörden für das Verbrechen verantwortlich. Sie werden der Komplizenschaft mit den Israelis verdächtigt. Verschiedene islamistische Gruppierungen haben zu sofortigen Vergeltungsschlägen aufgerufen. In Erwartung solcher Versuche hat Israel eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und die Bevölkerung zur Wachsamkeit aufgerufen.

Unterdessen versucht die Fatah-Führung durch ihre Aufrufe zur nationalen Einheit nicht nur Herr der Lage zu bleiben, sondern auch eine noch breitere Wählerschaft zur Unterstützung ihrer Kandidaten für die Autonomiewahlen am 20. Januar zu gewinnen. Israelische Kreise in Jerusalem halten es für nicht ausgeschlossen, daß es Arafat gelingen könnte, die Ermordung des „Ingenieurs“ in einen noch größeren Wahlsieg umzumünzen. Amos Wollin, Tel Aviv