■ Die deutsch-tschechische Versöhnung nach Krieg und Vertreibung ist praktisch gescheitert: Die CSU verhindert im Auftrag der Vertriebenenverbände deutsche Außenpolitik. In Tschechien nimmt das feindliche Klima gegenüber Deutschland zu
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Die deutsch-tschechische Versöhnung nach Krieg und Vertreibung ist praktisch gescheitert: Die CSU verhindert im Auftrag der Vertriebenenverbände deutsche Außenpolitik. In Tschechien nimmt das feindliche Klima gegenüber Deutschland zu

Der Zug nach Prag endet in München

In keinem anderen Nachbarland der Bundesrepublik ist 46 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs denkbar, was diese Woche in der tschechischen Hauptstadt Prag den Dirigenten Gerd Albrecht seinen Job bei der Tschechischen Philharmonie kostete: Nach einer gezielten Kampagne tschechischer Nationalisten gegen den Deutschen an der Spitze des zum „nationalen Heiligtum“ stilisierten Orchesters gab das Kulturministerium dem Druck nach und entzog dem geschätzten Dirigenten die künstlerische Kompetenz für die Philharmonie.

Das zunehmend deutschfeindliche Klima in der tschechischen Republik verengt auch den Spielraum in den laufenden Verhandlungen zwischen Bonn und Prag. Aber auch auf deutscher Seite gibt es starke Widerstände gegen die von Politikern schon häufig angekündigte gemeinsame Erklärung beider Parlamente, die eine dauerhafte Verständigung begründen und damit die vergiftete Atmosphäre gegenseitiger Ansprüche und Schuldzuweisungen ein halbes Jahrhundert nach Krieg und Vertreibung endlich ablösen sollte. Streitpunkte waren die tschechischen Vertreibungsdekrete von 1945 – hier fordern die Deutschen zumindest eine moralische Distanzierung – sowie die Eigentumsansprüche der Sudetendeutschen.

Offiziell wollen weder in Bonn noch in Prag die Unterhändler den Stand der Verhandlungen kommentieren. Ihre Erfolgsaussichten werden mit jedem Tag geringer, den die tschechischen Parlamentswahlen näherrücken. Denn die antideutschen Ressentiments schlagen auch im Wahlkampf durch. Die Zeit mutiger Entscheidungen scheint vorbei. Nicht nur der im westböhmischen Eger/Cheb geborene SPD-Abgeordnete Peter Glotz (SPD), ein Kenner deutsch- tschechischer Empfindsamkeiten, schätzt mittlerweile die Chancen auf eine Einigung der Unterhändler als „sehr gering“ ein.

In Bonn hat zwar Außenminister Klaus Kinkel (FDP) kürzlich persönlich die Verhandlungen an sich gezogen. Die neue Zuständigkeit – bislang trug auf deutscher Seite mit Staatssekretär Peter Hartmann ein Kohl-Vertrauter die Verantwortung – kann aber kaum darüber hinwegtäuschen, welche politische Kraft die Beziehungen zu Prag maßgeblich gestaltet: Nicht aus dem Auswärtigen Amt in Bonn, sondern aus der bayerischen Staatskanzlei in München dröhnte kurz vor Weihnachten ein lautes Veto gegen den Abschluß der Verhandlungen mit den Tschechen. In einem vertraulichen Spitzengespräch hatten sich CSU-Chef Theo Waigel und der bayerische Ministerpäsident Edmund Stoiber von Kohl und Kinkel informieren lassen und waren zu dem Ergebnis gekommen, der Verhandlungsstand reiche „bei weitem“ noch nicht aus. Auch Staatsmann Helmut Kohl nimmt auf die Forderungen der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) offensichtlich mehr Rücksicht als auf die Interessen bundesdeutscher Außenpolitik: Von Bonn aus führt deshalb nur ein einziger Weg zu einer Verständigung mit Prag – und der läuft über die bayerische Landeshauptstadt. Die CSU versteht sich als Schirmherrin der Vertriebenen, die zu ihrer treuesten Wählerklientel zählen.

Die SL-Spitzenfunktionäre in der Münchner Zentrale sind nun der Meinung, die Verhandlungen sollten besser bis nach den tschechischen Wahlen unterbrochen werden. Der CSU-Europabgeordnete Bernd Posselt forderte Kinkel im Auftrag der SL gar auf, er müsse „endlich zur Kenntnis nehmen, daß die Idee einer gemeinsamen Erklärung beider Regierungen mausetot ist“. Vor den tschechischen Wahlen, glaubt SL-Sprecher Konrad Badenheuer, sei nur eine Vereinbarung erreichbar, die „die Unterschiede zuschmiert“. Für diese Haltung weiß die SL mittlerweile nicht nur um Rückendeckung von der CSU, sondern auch der CDU.

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Karsten Voigt, wirft der deutschen Seite vor, sie habe die Verhandlungen schleifen lassen. Die Ursache für dieses Versäumnis sieht auch Voigt in einer „Rücksichtnahme des Kanzleramtes auf Bayern und sudetendeutsche Verbände“.

Genau diesen Widerstand hatte Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer in vielen Gesprächen und Reden im vergangenen Jahr aufweichen wollen. Nach Meinung der Grünen-Politikerin, die den Frieden zwischen Bonn und Prag zu ihrer Herzenssache machte, verhindern die ohnehin unrealistischen Eigentumsansprüche der Vertriebenen einen Durchbruch. Aber immer wieder hatte die deutsche Seite einen Zusammenhang zwischen denen von Prag seit langem geforderten Entschädigungszahlungen für NS-Opfer und der Anerkennung materieller deutscher Ansprüche hergestellt.

Als starkes Argument zugunsten eines deutschen Einlenkens hatte Vollmer vor Weihnachten ein Gutachten des renommierten Berliner Völkerrechtslers Christian Tomuschat vorgelegt. Danach stehen einer Bonner Verzichtserklärung auf deutsche Eigentumsforderungen keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Offiziell hat die Bundesregierung auf das Gutachten nie geantwortet. Unionspolitiker freilich kritisierten die Thesen als „Störmanöver“. Zudem stellt die Landsmannschaft mittlerweile auch mehr das „Recht auf Heimat“ in den Mittelpunkt.

Trotz aller Belastungen glaubt Antje Vollmer immer noch an eine Chance. Kohl habe drei Jahre vor den Wahlen genug Verhandlungsspielraum, um die Verständigung nicht den Interessen einer kleinen Gruppe zu opfern: „Von deutscher Seite ist noch ein Durchbruch drin.“ Hans Monath