Staatsanwaltschaft bricht Mauer des Schweigens

■ Oder gab's gar keine? PUA Polizei zum Fall Neß / Ermittlungen gegen 39 Polizisten

Wer den beiden Zeugen zuhört, bekommt folgenden Eindruck:

1. Alle Vorwürfe, die im Zusammenhang mit dem Fall Oliver Neß wegen zu lascher Ermittlungen der Staatsanwaltschaft oder der polizeiinternen Fahndungstruppe Ps3 erhoben wurden, sind aus der Luft gegriffen; 2. Es gab in der Polizei keine „Mauer des Schweigens“, wenn es um Ermittlungen in eigener Sache ging, höchstens eine durchaus verständliche „gewisse Grundskepsis“; 3. Skepsis gegenüber den Verletzungen des Journalisten Neß könnte dagegen angebracht sein.

Eine so bisher nicht unbedingt geläufige Sicht der Gänsemarkt-Krawalle vom Mai vergangenen Jahres, vorgetragen gestern abend vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß Polizei von den Staatsanwälten Martin Slotty und Joachim Dreyer. Letzterer zuständig für die staatsanwaltlichen Ermittlungen bis Ende 1994, bis er von Slotty abgelöst wurde.

Der berichtet, daß er derzeit in rund 39 Fällen gegen Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt ermittelt, 19 sind namentlich bekannt, die anderen 20 nicht. Mit welchem Ergebnis, das, sagt Slotty, dürfte frühestens Ende März feststehen. Die Aussagen von Zeugen und Polizeibeamten wichen schließlich zum Teil erheblich von den inzwischen vollständigen Videoaufnahmen der Polizei ab.

Sicherer sind sich Slotty und Dreyer da schon bei Wertungen wie diesen: Daß die Beamten sich durch Schweigen gegenseitig schützen? „Nein“, sagt Slotty, das habe er nicht festgestellt. „Nein,“ sagt auch Dreyer, „das habe ich nicht erkannt.“

Und die Ps3, hat sie mal ein Auge zugedrückt? „Nein,“ ein ganz „normaler, bemühter Beamter“ sei der Sache nachgegangen. „Im Nachhinein betrachtet“, könne man höchstens sagen, daß man da mehr Personal hätte dran setzen müssen. Aber sonst?

Die beiden betonen eher diesen Umstand: Daß sich Oliver Neß, der auf dem Gänsemarkt verprügelte Journalist, standhaft geweigert habe, sich einer Untersuchung durch einen UKE-Rechtsmediziner zu unterziehen. Bisher nur das Attest seines Hausarztes vorliege. Und dieses, deutet Staatsanwalt Dreyer an, könne bei einem Prozeß möglicherweise nicht genügen.

Nicht erklären konnten sich die beiden Staatsanwälte gestern, warum „wohl die Polizei“ die Angaben über die Zahl der am Gänsemarkt eingesetzten Beamten im Nachhinein von 240 auf 300 korrigiert hat.

uex