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Azubis schweißen schneller

Mit 250 Lehrlingen testet Siemens die integrierte gewerbliche Berufsausbildung. Kombination aus Berufsschule und betrieblicher Praxis  ■ Von Anja Dilk

Berlin-Siemensstadt: Zwischen grauweißgetünchten Säulen stehen Industrieroboter und Schaltanlagen in meterhohen Werkräumen. Alte Industriearchitektur mit zeitgemäßem Touch. Es riecht nach frischer Farbe und Kunststoff. Im Schaltwerk-Hochhaus sitzen Lehrlinge in blauen Overalls beim Platinenlöten, tüfteln hinter gläsernen Trennwänden an Computern. In den oberen Stockwerken brüten 24 Lehrlinge über dicken Wälzern, direkt gegenüber werkeln Azubis an technischen Anlagen. Irgendwo rattert eine computergesteuerte Modelleisenbahn. Helle Räume säumen den Gang: rechts Theorie, links Praxis. Wer theoretisch nicht mehr weiterkommt, kann sich sofort Anschauung aus der Praxis holen.

In der integrierten gewerblichen Berufsausbildung (IGB) bei Siemens sind Theorie und Praxis eng verzahnt. Vor kurzem erst präsentierte das Unternehmen sein erweitertes Ausbildungskonzept in Berlin. 20 Millionen Mark hat Siemens in das neue Ausbildungszentrum mit werkseigener Berufsschule investiert. Mehr als 250 Lehrlinge können hier Jahr für Jahr die Facharbeiterausbildung als Industrie- oder Zerspannungsmechaniker, als Energie- oder Kommunikationselektroniker machen.

Bereits 1891 wurden in den Berliner Siemens-Werken Lehrlingsecken eingerichtet, 1906 kam eine eigene Berufsschule dazu. Doch in jüngster Zeit erwog das Unternehmen, die Werner-Siemens-Berufsschule aufzugeben. Als sich der Senat nicht zu einer Übernahme der Einrichtung bereit erklärte, vollzog die Firmenleitung eine Kehrtwende. Das bestehende Ausbildungsangebot mit eigener Berufsschule wurde noch ausgebaut und umstrukturiert statt geschlossen. So soll die Ausbildung nicht nur besser, sondern auch schneller und damit kostengünstiger werden. Das neue Konzept: Die praktische Werkstattausbildung und der fachtheoretische Unterricht an der betriebseigenen Berufsschule werden im neuen Ausbildungszentrum nicht nur organisatorisch unter einem Dach zusammengeführt, sondern auch inhaltlich und zeitlich stärker miteinander verwoben. BerufsschullehrerInnen und AusbilderInnen kooperieren im Team. Unterrichtsräume, Labore, Werkstätten sind in einem Gebäude zusammengelegt. Gemeinsam erstellt das pädagogische Personal sogenannte „Ausbildungsstrecken“. Die Ausbildung wird so in praktische Bausteine zerlegt. Der Vorteil liegt auf der Hand: Neben den Pflichtabschnitten der Kernberufe kann die Ausbildung nach Bedarf stückchenweise ergänzt werden. Zudem können die AusbilderInnen den Unterricht im Team besser koordinieren sowie flexibler und damit auch praxisnäher gestalten. „Die statische Festlegung von Berufsschultagen und praktischer Ausbildung am Block entfällt in unserem Modell“, erläutert Joachim Luchterhand, Leiter des neuen Ausbildungszentrums. So können Lehrlinge bis zu sechs Wochen mit dem Berufsschulunterricht aussetzen, wenn es für die Praxisausbildung von Vorteil ist. Ein Modell, das es leichter macht, die Ausbildung auf die Anforderungen des raschen technischen Wandels und der späteren Arbeitswelt abzustimmen.

Dadurch versucht das Konzept der IGB eine Schwäche des dualen Systems zu korrigieren. Natürlich stimmt auch in der dualen Ausbildung ein Lehrplan die betriebliche und theoretische Ausbildung ab. „Die betriebliche Ausbildung ist nur dann didaktisch sinnvoll, wenn die Lehrlinge am Beispiel einer praktischen Aufgabe lernen“, sagt Heinz Rulands vom Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung (KWB) in Bonn. Was die Azubis wann lernen, richtet sich im einzelnen Betrieb nach der jeweiligen Auftragslage. „Deshalb gibt es zum Teil Schwierigkeiten bei der Abstimmung mit der Theorie an der Berufsschule.“ Sei es, daß Theorie und Praxis zeitlich zu weit auseinanderliegen, sei es, daß der betriebliche Ausbilder die Theorie vorwegnehmen muß, weil es die Auftragslage erfordert. Hinzu kommt die heterogene Zusammensetzung der Berufsschulklassen aus völlig verschiedenen Betrieben. Diese Probleme soll die IGB reduzieren. Freilich will Siemens mit dem neuen Ausbildungskonzept auch Kosten einsparen. „Zum einen ist die Ausbildung selbst jetzt wirtschaftlicher“, sagt Ausbildungsleiter Luchterhand. Der theoretische und der praktische Teil können beispielsweise effezienter aufeinander abgestimmt werden. „Wir sparen Geld, da die meisten Lehrlinge nun mit weniger Ausbildungszeit auskommen.“ Im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben können die Auzubis eine Verkürzung von dreieinhalb auf drei Jahre beantragen.

Die Gewerkschaft sieht solche Ausbildungsverkürzungen skeptisch. „Es besteht die Gefahr, daß Jugendliche unter Druck gesetzt werden, ihre Ausbildung schneller abzuschließen“, sagt Luis Sergio von der IG Metall in Berlin, „denn das Ziel der IGB ist schließlich eine Verdichtung der Ausbildung. Damit ist ein Teil der Jugendlichen überfordert.“ Die Struktur der Ausbildung könne langfristig die Schwächeren ausgrenzen, auch wenn Siemens diese Gruppe grundsätzlich ebenso berücksichtigen wolle. Insgesamt jedoch stößt dieses Konzept auch bei der Gewerkschaft auf Zustimmung. Zumal auch andere Betriebe das Angebot bei Siemens nutzen können: eine attraktive Alternative gerade für kleinere Unternehmen, die selbst eine vollständige Ausbildung nicht durchführen können. Derzeit kommen etwa 150 Auszubildende aus anderen Firmen.

Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Berlin hat das Modell von Beginn an kritisch begleitet. Nach einer Untersuchung des BIBB besteht sowohl bei BerufsschullehrerInnen als auch bei betrieblichen Ausbildern der Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit. Diesem Bedarf trage die IGB Rechnung. „Zwar haben Berufsschullehrer und Ausbilder auch bisher schon mal punktuell zusammengearbeitet“, sagt Helmut Pütz vom BIBB, „aber eine solche systematische Integration von Berufsschule und Betrieb in einem Ausbildungskonzept gab es bisher nicht. Hier besteht Nachholbedarf.“

In der Vergangenheit lief die Zusammenarbeit von BerufsschullehrerInnen und betrieblichen AusbilderInnen nach Beobachtung der Gewerkschaft allerdings nicht immer reibungslos. Das hängt nach Einschätzung von Pütz vom BIBB nicht nur mit der unterschiedlichen Bezahlung zusammen, sondern auch mit Mentalitätsunterschieden, da die einen aus der Praxis, die anderen aus dem akademisch-theoretischen Bereich kommen. Die Gewerkschaft spricht von „verdeckter Konkurrenz“. „Allerdings besteht bei der IGB eher die Chance, diese zu überwinden“, sagt IG-Metall- Mann Sergio. „Beide Seiten sind gezwungen, im Team zusammenzuarbeiten.“

Siemens ist mit 11.000 Auszubildenden einer der größten Ausbilder in Deutschland. „Die Ansätze dieses Modells werden bei künftigen Reformen der Berufsbildung sicher Beachtung finden“, resümiert Helmut Pütz. Freilich ist das Konzept nur für Großbetriebe denkbar. Vergleichbare Ansätze gibt es bereits zum Beispiel bei der Bayer AG. Das Gros der Azubis in Deutschland lernt jedoch in Klein- und Mittelbetrieben. „Langfristig müßte man solche Konzepte der dualen Berufsausbildung auch für Mittel- und Kleinbetriebe aufbauen“, meint Pütz. Allerdings müßte die Struktur des Berufsschulsystems dazu flexibilisiert werden.“ Konkrete Konzepte, wie das aussehen sollte, gibt es noch nicht. „Auch in der DDR ging die berufliche Bildung in eine ähnliche Richtung“, sagt Heinz Rulands vom KWB, „aber eine derart weitgehende Verknüpfung von berufspraktischer und theoretischer Bildung ist ein neuer Ansatz, der beispielhaft sein könnte.“

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