Große Koalition verkleinert den Ärger

■ Von den Koalitionsverhandlungen ist selbst der Chef der SPD-Fraktion enttäuscht: Wir haben nur Ärger minimiert

Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen sind nicht nur für die Gegner der Großen Koalition enttäuschend, sondern auch für ihre Befürworter. „In dieser Konstellation war nur die Minimierung von Ärgernissen möglich“, sagte SPD-Fraktionschef Böger gestern im Roten Rathaus am Rande jener Pressekonferenz, auf der der Koalitionsvertrag in Auszügen vorgestellt wurde. Erst wollte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) diesen Worten gar nicht glauben, aber dann versuchte er – ganz Landesvater – für seinen Koalitionspartner Verständnis aufzubringen: „Böger hat in seiner Partei eine andere Ausgangsposition als ich.“

Böger äußerte sich aber auch enttäuscht über die eigene Partei. Am Ende sei er der einzige gewesen, der für ein von den Sozialdemokraten geführtes Finanzressort gestritten habe. Alle anderen an den Verhandlungen beteiligten Genossen hätten dagegen argumentiert, ein Finanzsenator habe in den kommenden vier Jahren nur schlechte Nachrichten zu verkünden. Dies würde auf die SPD zurückfallen, war die Befürchtung. So bleiben die wichtigen Ressorts Inneres und Finanzen in der Hand der CDU. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Wolfgang Nagel dagegen für die SPD weiterhin das Bauressort leiten.

Neben Bau wird die SPD erneut das Justizressort und die neu zusammengesetzten Ressorts Gesundheit/Arbeit/Soziales/Frauen/ Familie und Schule/Berufsbildung/ Jugend/Sport besetzen. Die CDU stellt die Senatoren für Inneres, Finanzen, Wirtschaft/Betriebe/Technologie, Stadtentwicklung/Umweltschutz/Verkehr sowie Wissenschaft/Forschung/Kultur. Gestern kursierten erste Gerüchte, wer bei der CDU der Nachfolger von Finanzsenator Pieroth werden soll, wenn Pieroth Wirtschaftssenator wird: Volker Liepelt, der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion. Liepelt zählt bei der CDU zu den Finanzexperten.

Wie die Koalition aber die 23,1 Milliarden Mark einsparen will, auf die sie sich geeinigt hat, blieb gestern unklar. Zwar behaupteten Diepgen und der SPD-Parteivorsitzender Detlev Dzembritzki, man habe entsprechende Berechnungen bei denen man nicht in eine noch höhere Staatsverschuldung flüchten müßte. Doch die Zahlen für Mehreinnahmen durch Verkäufe von landeseigenen Beteiligungen und Gesellschaften sowie durch Einsparungen bei Personalkosten, Investitionen, Sachausgaben und den Zuschüssen an soziale wie kulturelle Einrichtungen erbrachten mit 14 Milliarden Mark bis 1999 nur gut die Hälfte der geplanten 23 Milliarden. Böger sagte, am Ende der nächtelangen Koalitionsverhandlungen sei der Finanzsenator „häufig eingeschlafen“, habe aber dennoch mit- und nachrechnen können.

Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) begrüßte die Koalitionsvereinbarung als gute Voraussetzung für ein gemeinsames Bundesland. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wertete das Verhandlungsergebnis dagegen als „katastrophal“. Sie warf den Parteien vor, Kürzungen nach dem Rasenmäherprinzip vorzunehmen. Der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland sagte, die SPD habe sich mit „absoluten Habenichtsressorts abspeisen“ lassen.

Die in den Koalitionsverhandlungen verabredete Zusammenlegung der Kultur- und Wissenschaftsverwaltung bezeichnete der amtierende Kultursenator Ulrich Roloff-Momin (SPD-nah) als „Skandal“. Dies bedeute eine „politische Degradierung“ der Kultur. Die GEW sprach von einem „Katalog von Grausamkeiten“ und kritisierte, daß die Sparmaßnahmen zu Lasten von Kindern und Jugendlichen gingen. So solle mehr als jede zehnte Lehrerstelle gestrichen werden. diak/wahn