Die zweite Vereinigung

Berlin und Brandenburg wollen heiraten, doch die Ehe droht an Berliner Schulden zu scheitern  ■ Von Dirk Wildt

Berlin (taz) – Die beiden Bundesländer Berlin und Brandenburg haben sich ein Jahrhundertwerk vorgenommen: Beide Regierungen und Parlamente haben eine Ländervereinigung vorbereitet, über die am 5. Mai die Berliner und Brandenburger Bevölkerungen abstimmen sollen.

Obwohl in den 50er und 70er Jahren in der Alten Bundesrepublik sowie durch die Vereinigung mit der DDR in den 90er Jahren neue Länderzuschnitte intensiv diskutiert wurden, hat bislang kein Bundesland auf seine Eigenständigkeit verzichten wollen. Von Ausnahmen abgesehen wurden in der Nachkriegsgeschichte nicht einmal Grenzen korrigiert, die noch auf das Jahr 1815 zurückgehen. Damals schlossen sich Preußen, Österreich sowie 37 Fürstentümer und freie Städte zum Deutschen Bund zusammen.

Angesichts der scheinbar unverrückbaren Grenzverläufe ist es nicht vermessen, wenn Berlins Regierender Brgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) vor sich eine Jahrhundertaufgabe sehen.

Sie erhoffen sich von „einem Land für alle“:

eine höhere Wirtschaftskraft und Arbeistplätze,

den Wegfall teurer Konkurrenz, bei der sich Berlin und Brandenburg mit Steuergeschenken an Wirtschaftsbetriebe überbieten,

bedeutende Einsparungen wegen des Wegfalls eines Parlaments und doppelter Ministerien,

mehr Einfluß im Bund und in Europa,

eine besser abgestimmte Landesplanung und

eine nebulöse „Werkstatt der Einheit“.

Das Reformprojekt wäre vorbildlich für die Bundesrepublik. Denn die Probleme, die die Länderehe mildern oder sogar lösen soll, haben auch andere Länder. Eine 1970 von der sozialliberalen Bundesregierung eingerichtete unabhängige Kommission schlug unter anderem vor, jeweils ein Land aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Bremen sowie aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland zu bilden. Die Altbundesrepublik würde aus nur noch fünf Ländern bestehen (siehe Grafik). Doch den Ministerpräsidenten fehlte der Mut, sich selbst und ganze Landeshauptstädte abzuschaffen. Den Berlinern würde dagegen der Verlust der Landeshauptstadt durch den Umzug der Bundesregierung an die Spree bis zum Jahr 2000 versüßt.

Doch nun droht die Länderhochzeit zu scheitern. Schuld sind die Berliner CDU und SPD, die gestern die Fortsetzung ihrer Großen Koalition festklopften. Sie müssen unabhängig von der Fusion dafür sorgen, daß Berlin nicht weiter über seine Verhältnisse lebt. Würde unverändert Geld zum Fenster hinausgeworfen, wüchse der Schuldenberg der Stadt von heute 50 Milliarden Mark innerhalb der kommenden vier Jahre auf 94 Milliarden Mark an. Tatsächlich dürfen die Schulden aber auf nur 70 Milliarden Mark klettern, will Berlin die dafür fälligen Zinsen aus eigener Kraft zurückzahlen. Gestern gaben die beiden Regierungsparteien zwar vor, das Sparziel zu erreichen, doch die Vorschläge etwa bei Personaleinsparungen halten einer genaueren Prüfung nicht stand.

Zu befürchten steht, daß die Brandenburger mehrheitlich eine Länderehe ablehnen werden, wenn Berlin seine Haushaltskrise nicht in den Griff bekommt. Wenn Berlin sich nach der Abstimmung nicht an die Vereinbarungen einer gemäßigten Neuverschuldung hält, werden die Zinsen für die übermäßigen Schulden am Ende auch jene Brandenburger Kinder zu zahlen haben, die heute noch gar nicht geboren sind. Wie stark die Vorbehalte gegen das alte Westberlin und die ehemalige Hauptstadt der DDR sind, verdeutlichte eine Umfrage im vergangenen Sommer. Während in Berlin rund zwei Drittel einer Fusion aufgeschlossen gegenüberstehen, lehnte damals bereits fast jeder zweite Brandenburger die Hochzeit ab. Und im Sommer stellte sich Berlins Finanzlage im Vergleich zu heute rosig dar.

Die PDS würde sich bei einem Scheitern der Fsuion die Hände reiben, als einzige Partei lehnt sie in Berlin wie in Brandenburg eine Vereinigung ab. PDS-Bundesvorsitzender Lothar Bisky, Abgeordneter in Brandenburg, will nicht glauben, daß sich „das Land für alle“ auch für alle lohnt. Außerdem fürchtet die PDS eine Verwässerung der fortschrittlicheren Brandenburger Verfassung.

Vereiteln die Berliner und Brandenburger Wahlberechtigten das Reformprojekt, wird diese Republik wohl nie wieder die Chance wahrnehmen können, die Vor- und Nachteile einer Fusion auszuprobieren. Noch wartet Hamburgs Erster Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) auf den Erfolg im Osten für eine neue Reformoffensive im Nordwesten. Voscherau will aus Hamburg, Bremen und seinen Nachbarländern ein strukturstarkes Bundesland zimmern und natürlich dafür sorgen, daß die Bewohner aus dem Speckgürtel der Hansestadt ihre Steuern in die Kasse eines gemeinsamen Landes zahlen.

Die teuren Bremer und Saarländer, die jedes Jahr über anderthalb Milliarden Mark Sonderzuschüsse vom Bund erhalten, schließen dagegen ihre Abschaffung von vornherein aus: Bremen bleibt Bremen, und Saarland bleibt Saarland.