Ein Sammelsurium von Versprechen

CDU und SPD haben sich auf einen 56seitigen Koalitionsvertrag geeinigt. Doch die Menge Kleingedrucktes kann die Substanzlosigkeit nicht verstecken: Das Blatt „Finanzen“ ist leer  ■ Von Dirk Wildt

„Die Expo 2000 in Hannover bringt die Chance, Besucher auch nach Berlin einzuladen.“ Dieser Satz steht auf Seite 41 der Koalitionsvereinbarung, auf die sich CDU und SPD geeinigt haben. Was eine solche Aussage in einer Regierungsvereinbarung zu suchen hat, bleibt dem laienhaften Leser genauso verschlossen wie etwa die Formulierung: „Die Ansiedlung von Verlagen wird begrüßt.“ Ach ja?

Auf der anderen Seite bleiben bestimmte Erläuterungen überraschend kurz. So hat die Verhandlungsdelegation zum Thema Finanzen eine weißes Blatt Papier mit dem Titel „Eckdaten eines Haushaltsstrukturgesetzes“ abgegeben. Den Delegierten der beiden Parteitage von CDU und SPD, die übermorgen die Fortsetzung der Großen Koalition offiziell besiegeln sollen, müssen die Beschlüsse nachgereicht werden.

Dieses leere Blatt ist bezeichnend für den tatsächlichen Mißerfolg der Verhandlungen. Vor Beginn waren sich sowohl der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) wie auch der SPD-Parteivorsitzende Detlef Dzembritzki einig, daß die Finanzen geklärt sein müssen, bevor die kommende Legislaturperiode inhaltlich ausgestaltet wird.

Versprechen werden gegeben, aber ungeklärt ist, wie sie bezahlt werden sollen, wenn die damit verbundenen Ausgaben gestrichen werden: So soll etwa dem Verkehrslärm zu Leibe gerückt, für die Gleichberechtigung der Frau gesorgt, „Berlin ein neues attraktives Image“ gegeben oder etwa „ein wirksamer Beitrag zur Modernisierung von Handwerk, Industrie und Dienstleistungen“ geleistet werden.

Auf diese Weise ist der Koalitionsvertrag zu einem Sammelsurium von Versprechen geworden, von denen die einen die anderen ausschließen. Die Koalition hat versprochen, bis 1999 nicht mehr als die geplanten 20 Milliarden Mark zusätzliche Schulden zu machen. Andererseits kosten alle geplanten Ausgaben so viel, daß Berlin 43 Milliarden Mark Schulden machen müßte. Doch in den über 50 engbedruckten Seiten sind kaum Sparbeschlüsse aufgeführt. Unter anderem sollen keine neuen Knäste mehr geplant werden. Bei der Polizei wird – wenn überhaupt – nur bei der Verwaltung gespart. Die Zuschüsse im Kulturbereich sollen bis 1999 um fünf Prozent schrumpfen. Die Zahl der Bezirke soll von heute 23 bis zu den nächsten Kommunalwahlen im Jahr 1999 auf 18 reduziert, die Zahl der Abteilungen in den noch neun Senatsverwaltungen „drastisch reduziert“ werden. Von der Bewag sollen weitere 25,8 Prozent verkauft werden.

Wohlweislich fehlt bei den Beschlüssen, wieviel Geld sie bringen. Würde der Spareffekt zusammengerechnet, würden sich die Parteitagsdelegierten wundern: Denn mit diesen Beschlüsse würden die einzusparenden 23,1 Milliarden Mark nicht annähernd erreicht.

Arbeit und Verwaltung

Die Berliner sollen freundlicher werden. Mit einer „Offensive der Freundlichkeit“ will die Große Koalition für angenehme Stimmung in der Stadt sorgen und so Investoren anlocken. Mit einem „Bündnis für Arbeit“ sollen sowohl in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Dienst Stellen erhalten statt abgebaut werden. Betriebe, denen Fördergelder zustehen, sollen sich statt wie bisher an verschiedene Verwaltungen zukünftig an eine Stelle wenden können. Die Verwaltung soll bürgerfreundlicher werden, die Zahl der Senatsverwaltungen wird von 15 auf 9 reduziert. Die Zahl der Abteilungen soll abgebaut, die Zahl der Bezirke von 23 auf 18 vermindert werden. Wie die SPD die im Wahlkampf versprochenen 100.000 und die CDU 200.000 Arbeitsplätze schaffen will, bleibt deren Geheimnis – in den Vereinbarungen findet sich dazu nichts.

Kultur minus 5 Prozent

Wenn Berlin ein Organismus wäre, wäre die Kultur ein Lebensnerv, sagt die Große Koalition. Kultureinrichtungen sollen nicht geschlossen werden. Die Zuschüsse an Kultureinrichtungen und die Kirchen werden aber von 1996 bis 1999 um fünf Prozent gekürzt. Die Bezirke sollen für ihre Angebote wie etwa Bibliotheken einen Benutzerausweis einführen, der für 10 bis 20 Mark verkauft wird. Die drei Opern, vier Staatstheater und zwei Konzerthäuser sollen in die Selbständigkeit entlassen werden. Der Tarifvertrag zwischen dem Land Berlin und dem Deutschen Bühnenverein wird gekündigt, damit die Häuser „größere unternehmerische Verantwortung“ wahrnehmen. Mit dem Bau des Ausstellungsgebäudes „Topographie des Terrors“ soll möglichst dieses Jahr begonnen werden, eine erste Ausbaustufe für 28 Millionen Mark bis 1999 verwirklicht sein.

Bauen und entwickeln

Bauen in Berlin heißt: Sehnsucht nach Kaiser Wilhelm. So hat bei der Museumsinsel die „historische Rekonstruktion Vorrang“. Und weil das Brandenburger Tor den Charakter des Pariser Platzes bestimmt, soll der Platz „soweit wie möglich ein klassisches Erscheinungsbild bieten“. Was aus dem Palast der Republik wird, bleibt unklar: Nach der Sanierung solle „mit dem Bund über eine der Bedeutung des Ortes angemessene Nutzung“ gesprochen werden. Im Wohnungsbau sollen 10.000 Wohnungen mit einer Quadratmeter- Miete zwischen 8 und 9 Mark, 19.000 Wohnungen mit einer Miete bis 12 Mark und 9.000 Eigentumswohnungen gebaut werden. In Sozialwohnungen sollen einkommensstärkere Mieter einziehen dürfen, die Fehlbelegungsabgabe erhöht werden. Anteile von Wohnungsbaugesellschaften werden nicht an Private verkauft.

Verkehrte Umwelt

CDU und SPD machen sich einen Namen als Klimakiller. Denn wie die Koalition ihr Versprechen finanzieren will, das Treibhausgas Kohlendioxid bis 2010 um ein Viertel zu reduzieren, erläutert sie nicht. Obwohl es dann kaum noch Autos ohne Filter geben wird, zieht die Koalition ihr Kat-Konzept nicht vor, das erst ab Juli 1998 für die Innenstadt nur noch schadstoffarme Autos erlaubt. Der Senat droht dem Müllentsorger Dass mit Ärger. Erfüllt er die gesetzlich vorgeschriebenen Sammelquoten des „Grünen Punkts“ nicht – und so sieht es derzeit aus – dann wird „die Freistellung von der Rücknahmepflicht aufgehoben“. Die Dass müßte einpacken. Am überdimensionierten Straßenausbau wird festgehalten. Von den eingesparten Geldern durch den teilweisen Verzicht auf die U5 sollen auch die Defizite der BVG finanziert werden.

Recht und Ausländer

Bürgerkriegsflüchtlinge sollen „abgestuft“ in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Jugendliche Flüchtlinge erhalten eine Qualifizierungsmöglichkeit, um bei ihrer Rückkehr zum Aufbau beizutragen. Restriktiv gehandhabt werden soll die Vergabe der Sozialhilfe an Asylbewerber und Flüchtlinge: Beim ersten Antrag steht eine ED-Behandlung an. Soweit dies nicht möglich ist, werden „entsprechende gesetzliche Grundlagen“ geschaffen. Schmier- und Bestechungsgelder sollen künftig nicht mehr von der Einkommensteuer absetzbar sein. Bis 1999 werden die Ermittlungen zur DDR-Regierungskriminalität abgeschlossen. Geplant ist die Abgabe steriler Spritzen an Gefangene „ohne Maßregelvollzug“. Mangels Geld werden alle Pläne für Gefängnis-Neubauten zurückgestellt.

Polizei

Das Gesetz über die Freiwillige Polizeireserve soll novelliert, der Name der Truppe geändert werden. Künftig wird der Verfassungsschutz wieder dem Innenressort untergeordnet. Keine Kürzungen drohen der Kriminal- und Schutzpolizei, dafür aber wird die Bürokratie „verschlankt“. „Bedarfsgerecht“ wird der Einsatz der Kontaktbereichsbeamten auf den Ostteil ausgeweitet. Bei Hausbesetzungen bleibt alles beim alten: Jede Neubesetzung wird sofort geräumt. Das durch die Graffiti „beschädigte Stadtbild“ soll mit einem Aktionsplan „repariert“ werden. Härter will die Große Koalition gegen das „aggressive Betteln“, insbesondere unter „Mißbrauch von Kindern“ vorgehen. Bei der Bekämpfung der Kriminalität setzt man auf „ortsteilbezogene Sicherheitsforen“ unter Beteiligung von Bürgern. Verstärkt wird der Kampf gegen religiöse Sekten.

Schule und Unis

Mehrfachangebote an den Unis sollen in einem Haushaltsstrukturgesetz abgebaut werden. Hierzu zählen: Pharmazie und Sportwissenschaften an der Humboldt, Zahnmedizin und Informatik an der FU, Lehramt Geographie, Physik, Chemie, Biologie sowie Lehramt und Magister Germanistik und Anglistik sowie Sozial- und Grundschulpädagogik an der TU, Schauspiel und Zusammenlegung der Fachbereiche 1 und 6 an der HdK. Die Zahl der Studienplätze wird bis zum Jahr 2003 auf 100.000 abgebaut. Jährlich sollen an den Schulen 200 Stellen für Jung-Lehrer geschaffen werden. Die Sanierung des Olympiastadions wird dem Bund überlassen. Die bisherige Eissporthalle Jafféstraße soll erst bei einem bereits vorhandenen Ersatzbau abgerissen werden. Erneut steht die Privatisierung des SEZ in Friedrichshain auf der Tagesordnung.