Coming-out eines Spitzels

■ Rumänischer Geheimdienstchef veröffentlicht seine Securitate-Akte. Fazit: Er spionierte schon unter Ceaușescu

Bukarest (taz) – Rumäniens Geheimdienste sind wirklich geheim: Nicht einmal ihre genaue Anzahl ist bekannt. Offiziell gibt es sechs, Experten gehen von mindestens neun aus. Nur der mächtigste, der Rumänische Informationsdienst SRI, die Nachfolgeorganisation der Securitate, sorgt regelmäßig für Aufsehen. Die bisher spektakulärste Affäre: SRI-Chef Virgil Magureanu hat seine eigene Securitate-Akte veröffentlicht – jenes Dossier, das der Geheimdienst Ceaușescus über ihn anlegen ließ. Das Boulevardblatt Evenimentul zilei durckte sie kürzlich ab.

Schon bei flüchtigem Hinsehen verschlägt es einem den Atem: Aus der Akte geht hervor, daß Magureanu 1963/64 Agentenführer war, wegen „mangelnder Erfahrung“ jedoch aus dieser Arbeit abgezogen wurde. Mit dieser Episode endet angeblich das Dossier des SRI-Chefs. Wohl eher eine Lüge: Der heute 54jährige war Dozent des Marxismus-Leninismus an der Parteihochschule, ein Posten, der Securitate-Zuarbeit impliziert haben dürfte. Angaben, wonach er zugleich hochrangiger Securitate-Offizier war, hat Magureanu nie dementiert. Gelogen hatte der SRI-Chef schon vorher: Denn bei seiner Ernennung zum SRI-Chef 1993 hatte Magureanu geschworen, niemals Mitarbeiter der Securitate gewesen zu sein.

Laut seiner Aussage beschäftigte der SRI nach dem Sturz Ceaușescus rund ein Drittel aller Ex-Securitate-Mitarbeiter weiter. Mehr noch: Der SRI hat alles getan, um die Spuren der Securitate- Verbrechen zu verwischen. Kein Täter wurde bestraft, die Archive, inklusive Personalakten bleiben bis ins Jahr 2035 unter Verschluß. Praktisch jedoch hat der SRI immer wieder Akten in Umlauf gesetzt, um unliebsame Personen in den Schmutz zu ziehen. Als Grund, für seinen Schritt nannte Magureanu, er wollte einer anderen Veröffentlichung zuvorkommen. Kurz vorher hatte das neofaschistische Hetzblatt RomÛnia Mare, Zentralorgan der gleichnamigen Partei „Großrumänien“, gedroht, die Akte abzudrucken. Der Großrumänien-Blatt- und Parteichef Corneliu Vadim Tudor ist Wortführer einer einflußreichen Fraktion aus alten Funktionären, die kommunistisch-nationalistisch orientiert und gegen eine Westintegration Rumäniens sind. Gegenüber ihnen erscheint Magureanu geradezu als Reformer: In den letzten Monaten hatte er mehrere hohe SRI-Offiziere gefeuert, die mutmaßliche „Großrumänien“-Sympathisanten sind. Nicht nur deshalb wurde Magureanu in RomÛnia Mare seit Monaten angegriffen. Der SRI hatte auch ein „Weißbuch“ veröffentlicht, aus dem hervorgeht, daß Cornelius Vadim Tudor und ähnlich Gesinnte früher Spitzel der Securitate waren.

Im Hintergrund geht es kaum um Reformen, sondern um einen Machtkampf der Securitate-Hardliner mit Pragmatikern um Magureanu. „Realisten“, wie er fordern zwar eine „Europäisierung“ Rumäniens. Doch ihr Reformgeist erschöpfte sich bislang im Hinüberretten der alten Securitate-Struktruren ins neue Regime.

Dennoch könnte die Veröffentlichung Magureanus unerwartete Folgen haben. Oppositionspolitiker haben die Forderung nach einer Aktenöffnung wieder aufgegriffen, und die Diskussion um den selektiven Umgang des SRI mit Personenakten hat erneut begonnen. Jetzt soll der SRI-Chef demnächst erst einmal dem Parlament auf die Frage antworten, warum er gelogen hat, als er 1993 aussagte, niemals für die Securitate gearbeitet zu haben. Keno Verseck