Gesucht: Liberale Gäste in der SPD-Fraktion

■ Scharping ruft frustrierte FDP-Mitglieder auf, das Lager zu wechseln – und verweist auf Resonanz. Führende FDPler entrüstet: „Rufmörderische Latrinenparolen“

Berlin/Bonn (taz/rtr/AFP) – „Wer sich in der SPD besser aufgehoben fühlt, der kann kommen.“ Mit diesem Aufruf löste SPD- Fraktionschef Rudolf Scharping am Wochenende eine Lawine der Entrüstung und der Dementis aus. Gemünzt waren Scharpings Worte auf unzufriedene FDP-Abgeordnete, denen der SPD-Mann einen „Gaststatus“ in seiner Fraktion anbot. Immerhin hatten am Samstag mehrere Liberale angekündigt, sie würden im kommenden Herbst dem Bundeshaushalt 1997 ihre Stimmen verweigern, wäre Finanzminister Theo Waigel (CSU) nicht bereit, den Solidaritätszuschlag im nächsten Jahr zu senken.

Der Abgeordnete und schleswig-holsteinische FDP-Chef Jürgen Koppelin erklärte zudem, „mehrere andere FDP-Kollegen“ würden sich ebenso verhalten. Der Bild am Sonntag sagte er: „Wir sind uns bewußt, daß diese Haltung zum Bruch der Koalition führen kann.“ Damit wäre die Regierungsmehrheit im Bundestag (341 zu 331 Stimmen) verloren. Waigel wiederum warnte gestern vorsorglich selber vor einem Koalitionsbruch, falls der Haushalt an der FDP scheitere.

Die FDP-Spitze wies sämtliche Spekulationen über ein Ende der Bonner Koalition in scharfer Form zurück. FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms betonte, er lege für alle 47 Abgeordneten der Liberalen „die Hand ins Feuer“. „Kein einziger denkt auch nur im Ansatz daran, die Fraktion zu wechseln.“ Die Süddeutsche Zeitung berichtete dagegen, angeblich vier FDP- Abgeordnete hätten sich in der vergangenen Woche bei der SPD nach den Möglichkeiten eines Übertritts erkundigt. Scharping sprach von Kontakten, ohne Namen zu nennen.

Solms sagte, die „Abwerbeaktionen“ enttäuschten ihn zutiefst. „Das ist wirklich niedrigstes Niveau.“ Die SPD scheine restlos ratlos geworden zu sein. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt erklärte, er halte „die gestreuten Gerüchte für völlig absurd“. Und Generalsekretär Guido Westerwelle bezeichnete die Spekulationen als „von der SPD gezielt gestreutes Gerücht“. „Wenn Herr Scharping solche rufmörderischen Latrinenparolen verbreitet, dann wirft das ein bezeichnendes Licht darauf, daß ihm ansonsten die Themen ausgegangen sind.“

Laut Süddeutscher Zeitung könnte die Angst, bei vorgezogenen Neuwahlen das Mandat zu verlieren, manche FDP-Abgeordnete zu einem Parteiübertritt veranlassen. Prominente Linksliberale wie Leutheusser-Schnarrenberger, die vor einem Rechtsruck in ihrer Partei gewarnt hatte, gälten jedoch nicht als „Umsteigekandidaten“. flo

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