Reisende durch die Geschichte

■ Die Rom-Zigeunerin und Überlebende des Holocaust Ceija Stojka eröffnete ihre Kunstausstellung mit einer Lesung: "Der Anfang einer geschriebenen Literatur"

„I hab' ma nix nehmen lassen im Leben.“ Wenn sie lacht, klappert ein gutes Dutzend goldener Medaillons, Heiligenbildchen und Talismane an ihrem Hals. Die platinblonde Lady im schwarzen Spitzenkostüm und steilen Lackpumps erzählt in breitem Wienerisch von ihrer Schwangerschaft mit 15 Jahren, vom Leben in Pferdewagen, von der Reise durch österreichische Dörfer. Ceija Stojka ist eine Rom-Zigeunerin. Für sie keine Beleidigung, so bezeichnet sie sich selbst. Die 62jährige Schriftstellerin hat die Todeslager der Nazis überlebt, zwei Bücher veröffentlicht und hält ihre Lebenserinnerungen in Bildern fest. Mit einer Lesung wurde am Wochenende ihre Ausstellung in der Kreuzberger Süd-Ost-Galerie eröffnet.

„Wir sind am Anfang unserer geschriebenen Literatur“, faßte Rajko Djuric, Vorsitzender des Weltrates der Sinti und Roma, die ungewöhnliche Vernissage zusammen. Vor hoffnungslos überfülltem Saal – fast die Hälfte der Gäste waren selbst Roma – ließ Ceija Stojka ihre Bücher vortragen. Lesen und Schreiben hat der prominenten Trägerin des österreichischen Bruno-Kreisky-Preises niemand richtig beigebracht. Kein Grund, den Mund zu halten, fand die Mutter von drei Kindern, die nach dem Krieg Stoffe und Brokat verkaufte und heute in Wien lebt. Irgendwann hat sie begonnen, Erinnerungen aus ihrem Leben zu notieren. Die Familie reagierte verständnislos. Mündliche Überlieferung ist bei den Roma eine uralte Tradition, für Geschriebenes gibt es kaum ein Forum. Ceija Stojka ließ nicht locker. Mit Hilfe von Freunden wurde aus tausend Zetteln und Erinnerungsfetzen 1988 ihr erstes Buch „Wir leben im Verborgenen“: die Dokumentation einer traumatischen Kindheit.

Im Planwagen mit fünf Geschwistern zog die 1933 geborene Tochter eines Pferdehändlers durch Österreich, als 1938 der Anschluß an Deutschland beschlossen wurde. Ein Jahr später erklärte man ein totales Reiseverbot für alle fahrenden Leute, 1941 wurde der Familienvater von der Gestapo abgeholt. Sinti und Roma galten als „artfremd“ und „rassisch minderwertig“.

Ceija Stojkas Vater starb im KZ Dachau, sie selbst verschleppte man 1943 ins berüchtigte „Zigeunerlager“ von Auschwitz. Nur weil sie log, sie sei schon 16 und könne arbeiten, entging sie dem Selektionskommando. Wenig später starb ihr jüngster Bruder an Typhus, purer Zufall bewahrte sie 1944 vor der Sterilisation im KZ Ravensbrück. 1945 retteten sei die Truppen der britischen Armee vor der Vernichtung in Bergen-Belsen.

Zu oft ist Ceija Stojka inzwischen nach ihren Erinnerungen gefragt worden, zu viele Male hat sie die tätowierte Nummer an ihrem Unterarm gezeigt, um noch spontan antworten zu können auf die Fragen ihrer Zuhörer. „So laut kann man gar nicht schreien“, meint sie fast hilflos, „was wirklich geschehen ist, kann niemand erklären.“ In ihren Bildern hat Ceija Stojka eine unmißverständliche Sprache gefunden, ihre ungewöhnliche Biographie wiederzugeben. Constanze von Bullion

Ceija Stojka: „Bilder aus dieser Welt“. 13. 1.–15. 2., Süd-Ost-Galerie, Großbeerenstr. 88, Kreuzberg, Tel. 2510128