Sanssouci
: Nachschlag

■ Kurt Weills „Johnny Johnson“ im Theater des Westens

Amerika weint. Eine dicke Träne rinnt über die Wange der Freiheitsstatue, deren Kopf auf den Vorhang des Theater des Westens projiziert ist. Und das ist auch kein Wunder, denn in Europa herrscht Krieg. Schwups erscheint eine entsprechende Landkarte auf der freiheitlichen Nase. Dann fällt ein Schuß, und die Karte verbrennt. Wer könnte da sagen: „Was geht es uns an, wenn die in Sarajevo aufeinander schießen?“ Gerät die Demokratie in Gefahr, ist der Amerikaner gefordert und basta. Schwungvoll plakativ beginnt Fred Berndts Inszenierung von Kurt Weills Musical „Johnny Johnson“ (Text: Paul Green). 1936 im amerikanischen Exil geschrieben, erzählt es parabelhaft vom Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg, und was mit einem friedliebenden Steinmetz an der Front so alles passiert. Weil damals neben den Gewehr- auch Kameraschüsse zum regulären Frontgeschehen gehörten, siedelt Berndt (Regie und Bühne) das Geschehen im Faltenbalg einer Plattenkamera an: Eine Stufenbühne, die sich – Zoom-Effekt! – ausdehnen und zusammenschieben läßt, seitlich Zieharmonika-Stellwände und hinten, in der Linse, ein Landschafts- oder Kriegsplakatprospekt. Das alles ist ebenso gelungen wie das mit Texten zum Thema und historischen Abbildungen reich versehene Programmheft oder die Idee, zur Aufführung einen Kinospot zu schalten. Schön.

„Johnny Johnson“ wurde noch nie zuvor in voller Länge aufgeführt. Die schauspielerischen Anforderungen an die Sänger waren für amerikanische Verhältnisse seinerzeit zu hoch, und auch europäische Produktionen begnügten sich mit einer Kurzform. Die von Berndt und Jörg Gronius überarbeitete Fassung des Originaltexts sollte bereits 1993 im Schiller Theater herauskommen – aus bekannten Gründen kam es nicht dazu. „Johnny Johnson“, the long version, jetzt also im Theater des Westens. Eine Ausgrabung, die eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Denn die dialogreiche Geschichte von Johnny Johnson, der von seiner Verlobten Minnie Bell gedrängt wird, sich als Freiwilliger zu melden, dann auszieht, die Kriegführenden vom Frieden zu überzeugen und in der Klapse endet, ist entsetzlich gut gemeint. Musikalisch schwankt es zwischen den typischen frühen Weill-Tönen („Dreigroschenoper“), Spiritual-Elementen und, nun ja, einer Art Salonmusik. Inszeniert hat Berndt dies mit Schauspielern, die nicht so richtig singen können, Sängern, die – zumindest hier – nicht so richtig schauspielen können und einer denkbar anspruchslosen Choreographie. Nicht so schön.

Es gibt klamottige Szenen in diesem Stück, die, genau inszeniert, sicher lustig wären. Doch wenn in der Musterungsszene dem Gehilfen eine Tür an die Nase donnern soll, dann taumelt der Darsteller schon, obwohl die Tür noch weit weg ist. Und so weiter. Als War-picture sieht man später länglich ein luschiges Sandsackaufschichten zu einem Trommelwirbel, noch später verschont der tumbe Tor Johnny einen Deutschen mit den Worten „Ich kann doch kein Kind schlachten. Hast du auch eine Mutter?“ Überhaupt dieser Johnny, gespielt von Guntbert Warns. Ein amerikanischer Schwejk, aber dümmlich, ein Vater von Forrest Gump, aber mit noch mehr Mission. Ein heiliger Johann des Schlachtfeldes, der die Generalsbesprechung mit Lachgas stürmt. Warns trägt dazu ein penetrant beseeltes Grinsen spazieren, das man spätestens nach einer Stunde gerne retuschieren würde. Aber zu diesem Zeitpunkt hat sich die konsequente Kameraästhetik ohnehin schon lange aufgelöst. Bestenfalls in ein lomographisches Irgendwie, was hier jedoch keine Frage des Konzepts, sondern mangelnden Vermögens ist. „Johnny Johnson“ im Theater des Westens: ein Trauerspiel. Petra Kohse

Bis 25. 2., Di–So, 20 Uhr, Theater des Westens, Kanstraße 12