Schenkungen - eine gute alte Tradition

■ Vor Gericht erklärt Südkoreas Ex-Präsident Roh, er sei von der Geschäftswelt nicht bestochen, sondern beschenkt worden

Tokio (taz) – „Ich übernehme die Verantwortung“, erklärte Roh Tae Woo dem Seouler Gericht gestern – zum Entsetzen seiner Verteidiger. Die hatten gehofft, den ehemaligen Staatschef von der Anklage der Bestechlichkeit zu entlasten. Die Staatsanwälte werfen Roh vor, zwischen 1988 und 1993 umgerechnet rund 560 Millionen Mark angenommen zu haben. Roh bestreitet nicht, das Geld erhalten zu haben. Allerdings habe er keineswegs die Spender – meist große Firmen – bevorzugt. Es handele sich vielmehr um „traditionelle Schenkungen“.

Neben Roh müssen 14 weitere Personen vor Gericht aussagen, die verdächtigt werden, im Auftrag großer Unternehmen an Roh gezahlt zu haben oder als Vertraute des Ex-Präsidenten an den Geldtransfers beteiligt gewesen zu sein. Darunter ist auch der Vorsitzende der Daewoo-Gruppe, Kim Woo Choong. Erst am Freitag war gegen den Vorgänger Rohs Anklage erhoben worden. Chun Doo Hwan, ebenfalls Vier-Sterne-General, soll umgerechnet 400 Millionen Mark von 42 Unternehmen empfangen haben.

Viele Südkoreaner können noch immer nicht glauben, daß es wahrhaftig die beiden höchsten Landesregenten der zwölf langen Jahre von 1980 bis 1992 sind, denen heute aufgrund ihrer gemeinsamen Verantwortung für das Massaker von Kwangju im Jahr 1980, dem koreanischen „Tiananmen“, und der anschließenden Hinterschlagung von Milliardenbeträgen im Präsidentenamt der Prozeß gemacht wird.

Nicht nur das Verfahren ist neu, für das das südkoreanische Parlament im Dezember eine spezielle Gesetzgebung erließ, welche die Verjährung für die vor 16 Jahren begangenen Schreckenstaten des südkoreanischen Militärs aufhob. Nie zuvor hat sich ein asiatisches Land auf derart penible Art und Weise den dunklen Seiten der eigenen Vergangenheit gestellt.

So werden die koreanischen Präsidentenprozesse derzeit von einer Welle wohlwollender Urteile aus dem Ausland begleitet: „Korea hat sich zu einer Demokratie entwickelt, und zwar einer, die wissen will, wie es dazu kam, wieviel es kostete, und wer die Verantwortung trug“, sagt der amerikanische Asienexperte Chalmers Johnson, Präsident des Japan Policy Research Institute in Kalifornien. In Japan glaubt der bei den jüngsten Wahlen gescheiterte Reformer Kenichi Ohmae, Autor zahlreicher Bestseller: „Korea steht vor einer gründlichen Überprüfung seines Gesellschaftssystems.“ Deshalb würde „in Zukunft weniger Geld von den Großkonzernen zur Regierung fließen, und die Regierung wird die Vorhaben der Unternehmen nicht mehr durch die Banken kontrollieren können“, sagt Ohmae.

Soviel Optimismus begegnet man in Südkorea bis heute selten. Hier ist die Öffentlichkeit noch immer vom Ausmaß der Enthüllungen überwältigt: Manche Schätzungen gehen so weit, daß beide Präsidenten in ihren zwölf Regierungsjahren fast drei Milliarden Mark schwarz kassierten.

Doch es geht nicht nur um die Vergangenheit: Beobachter vermuten, daß keiner mehr über den Weg des heutigen Präsidenten Kim Young Sams zur Macht weiß als Chun. Kim hatte seine Vorgänger bis zum Sommer vergangenen Jahres für ihre historischen Verbrechen in Schutz genommen und erst nach einer vernichtenden Wahlniederlage und den Korruptionsenthüllungen ihre juristische Verfolgung angeordnet. Die meisten SüdkoreanerInnen empfinden seine Rolle als zwiespältig: Sie halten seine Motive für die Verhaftung seiner Vorgänger für unlauter, finden aber dennoch, daß er das Richtige tut.

Ob das ausreicht, um in Südkorea tatsächlich eine Systemveränderung einzuleiten, bleibt indessen fraglich: Schon von den 35 Konzernmächtigen, die bisher im Zusammenhang mit dem Roh-Skandal angeklagt wurden, wurde bisher nur einer verhaftet. Daraufhin hatten die Forschungsinstitute der beschuldigten Konzerne ihre Wachstumsprognosen für 1996 nach unten revidiert. Das Warnsignal reichte aus, damit die Staatsanwaltschaft auf ein strengeres Vorgehen verzichtete.

Oppositionsführer Kim Dae Jung, der selbst von der schwarzen Kasse Rohs profitierte, bleibt pessimistisch: „Korea muß noch einen langen Weg zurücklegen, bevor es eine wahrhaft demokratische Gesellschaft wird. Noch immer gehorchen viele Medien dem Präsidentenpalast; Steuergesetze werden mißbraucht, um jeden, der aus der Reihe tritt, auszuhorchen; Unternehmer erhalten Regierungsbefehle; und die Gewerkschaften werden unterdrückt.“ Daran dürfte sich nach dem Willen der Regierung auch dann nichts ändern, wenn die Südkoreaner über ihre Vergangenheit nach den Prozessen gegen Roh und Chun klarer sehen. Georg Blume/li