Lean production, lean fish, lean people Von Christiane Grefe

„Nieder mit der Diktatur der natürlichen Auslese, es lebe die Herrschaft der Menschen über alles Leben.“

Daniel Cohen, Genforscher, in seinem neuen Buch „Gene der Hoffnungen“, 1995

Bald, Leute, gibt es immerzu Silvesterfestessen, und zwar satt. Schottische Wissenschaftler, so die frischeste Meldung aus den Genlaboren, arbeiten an einem Lachs, der mit zehnfachem Tempo wächst. Eine Zufallsentdeckung: Eigentlich hatten die Forscher ihren Fischen per Antifrostgen eine höhere Kälteverträglichkeit beibringen wollen. Doch huch! – just dieses Gen setzte überraschend ein Wachstumshormon frei.

Ob die Speedy-Gonzales-Lachse auch schmecken, darüber wurde noch nichts mitgeteilt; immerhin lehren nicht nur Musik, Sex und Kochkunst, daß Qualität ihre Zeit braucht. Doch das ist nur die harmloseste Frage. Was passiert darüber hinaus, wenn die High-Tech- Fische in natürliche Gewässer geraten? Verändern sie, wenn sie richtige Wildlachsbräute kennenlernen, unwiederbringlich den natürlichen Genpool? Welche anderen Folgen der totalen Fisch-Optimierung können wir – so wie früher die Medikamentenabhängigkeit hochgezüchteter Massentierhaltungsschweine – noch gar nicht absehen? Fressen die energiebedürftigen Turbolachse den anderen Lebewesen alles weg, so wie jene biotopfremde Barschart im Viktoriasee? Schaffen wir also neue Probleme? Und setzt demnächst vielleicht auch ein an solchen Schweinen erprobtes Krankheitsresistenzgen – huch! – unerwartet Hormone, dann vielleicht aggressionsfördernde, frei?

Solche Fragen sollen wir jetzt aber nicht mehr stellen, denn „Oberbedenkenträger haben keine Zukunft“, hat uns der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu um die Ohren gehauen. Und „Angstpsychosen“ können auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt (in Zeit v. 11.1. 1995) und EG-Kommissar Martin Bangemann nicht leiden. Weil nämlich die „Ökochonder“, so die neue Wortschöpfung auch des Hamburger Umweltsenators, mit ihrem Behinderungskurs an der Arbeitslosigkeit schuld seien. Und den Fortschritt blockieren!

Diese Ökologendresche begleitet konzertiert die neue, vor allem auf Druck der Bundesregierung vorangetriebene Brüsseler Initiative zur Gentechnik-Deregulierung: Da sollen die Sicherheitsbestimmungen in den Labor- und Freisetzungsrichtlinien (obwohl sie die Investitionsbereitschaft gar nicht behindern) verwässert werden. Und auch die Patentierungsrichtlinie wollen die EG-Kommissare – gerade ein halbes Jahr, nachdem das EG-Parlament sie abgelehnt hat – kaum verändert wieder aufrollen. Dann kann ein Konzern menschliche Gene und gleich ganze Tiere und Pflanzen – manipulierte Sojabohnen, Tomaten, Rinder – inklusive aller Formen ihrer Vermarktung weltweit besitzen – ein neues Stadium der Kapitalisierung und Privatisierung von Natur. Die Wirtschaftskrise gebiert Ungeheuer: noch mehr unkontrollierte Agrarmonopole, Artensterben, Monokulturen, Energieintensität. Als hätte es 30 Jahre ökologische Debatte nie gegeben.

Dabei geht selbst die rein ökonomische Logik der Gentechnik- Euphoriker nicht auf. Der angebliche Boom der amerikanischen Gentechnik-Industrie ist bisher vor allem als Boom von Verlusten dokumentiert: 1,3 Milliarden Dollar allein 1994. Nur 12 von 650 an der Börse eingeschriebenen Unternehmen schreiben schwarze Zahlen. Und ehe sie die verzeichnen, zocken Fabriken im Durchschnitt 450 Millionen Dollar an Subventionen ab.

Katzenjammer herrscht dabei gerade im Medizinbereich, mit dessen moralischer Wucht Politiker so gern argumentieren und wo in Europa derzeit am meisten investiert wird. So ließ der Leiter des amerikanischen National Institute of Health gerade anhand von 106 Studien die Erfolge der Gentherapie untersuchen: „Es gibt so gut wie keinen Beweis dafür, daß sie Patienten oder auch nur Versuchstieren nützt.“ Vergeblich etwa das Bemühen, Patienten mit zystischer Fibrose zu heilen. Keine Besserung für Jungen mit Muskelschwund. Und als brüchig erwies sich selbst das Vorzeigebeispiel, die Therapie des auf einem Gendefekt beruhenden Mangels am Immun-Enzym ADA.

Schon bei diesen vergleichsweise simplen Defekten scheitern die Genforscher also an ihrem biologistisch-mechanischen Denken in DNA-Meßeinheiten und simplen Input-Output-Beziehungen. Wie wollen sie dann erst gegen so komplexe Vorgänge wie Krebs, Aids, Allergien oder Bluthochdruck vorgehen, an deren Entstehung Hunderte von Genen beteiligt sind. „Herrschaft der Menschen über alles Leben“?

Um die riesigen Forschungsinvestitionen trotz der mageren Ergebnisse der Gentherapie zu legitimieren, prophezeit der Forschungsaussteiger John Fagan, würden die Firmen am Ende dann auch „vom Therapiemarkt in den Verbesserungsmarkt umsteigen“. Das heißt in die vorgeburtliche gentechnische Diagnostik und am Ende auch in die Keimbahntherapie. Potentiell behinderte, dicke oder häßliche Kinder, solche, die mit behaupteten Wahrscheinlichkeiten irgendwann nach ihrem 35. Lebensjahr Darmkrebs kriegen oder Neurodermitiker wie mich nehmen Eltern dann nicht mehr.

Davor, daß Menschen genau wie Lachse optimiert werden könnten, hat nun selbst Schmidt Angst. Die Keimbahntherapie sei die „wichtige Ausnahme“ beim geforderten gentechnologischen Durchstart. Doch daß wenigstens diese dem Denken der Nazi-Eugenik gefährlich verwandte Technik aus dem neuen Entwurf der Patentierungsrichtlinie herausfiel, ist einzig das Verdienst jener „Oberbedenkenträger“. Deren politischer Widerstand ist in der Renaissance des puren Ökonomismus – lean economy, lean fish, lean people – wichtiger denn je.

Denn ängstlich und pessimistisch sind doch in Wahrheit die vermeintlichen Fortschrittsoptimisten – weil sie meinen, man dürfe und könne nichts verändern, und auf die Wirtschaftskrise in heller Panik wieder mit der Produktion neuer Subventionengräber reagieren. Zucht ist ihre neue technologische Antwort – aber auf welche Frage? Jedes Kind weiß heute, daß exzessive Landwirtschaft und Klimakatastrophe zusammenhängen, daß Hunger mehr ein Verteilungs- als ein Sortenproblem ist, daß immer neue Diagnosemöglichkeiten ohne Therapiefolge die Kosten des Gesundheitswesens ins Unermeßliche steigern und daß die einzigen Wachstumsraten bei ökologischen Innovationen erzielt werden. Daß also, wer ökologisch und sozial verträglichen Fortschritt will, die Weichen ganz neu stellen muß. Doch die älteren Herren bei der Zeit und in Brüssel haben nichts gelernt. Sie betrachten die Ökologie wieder wie anno Tobak als Luxus der brummenden Konsumgesellschaft und nicht als System, in dem sich alles bewegt. Auf diesem Niveau der Debatte wird dann auch bestimmt bald mal wieder einer von ihnen im Fernsehen auftreten – und mit dem Gestus tapferen Bekehrens vor unser aller Augen einen Turbolachs verzehren.

Christiane Grefe ist Redakteurin beim Magazin der Süddeutschen Zeitung