Recht auf Einspruch statt Recht auf Land

■ Brasiliens Präsident Cardoso bremst mit einem Dekret die Demarkierung von Indianerreservaten. Wohin gehen 37 Millionen Mark deutsche Entwicklungshilfe?

Rio de Janeiro (taz) – Zu einem radikalen Kurswechsel in der Indianerpolitik hat sich Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso entschlossen. Trotz vehementer internationaler Kritik stimmte der 64jährige in der vergangenen Woche der Revision des sogenannten Dekrets 22 zu, das die Abgrenzung von Indianerreservaten regelt.

Die neue Version des Dekrets schränkt die bisher in der brasilianischen Verfassung verankerten Rechte für die 317.000 Ureinwohner des Landes erheblich ein. Künftig kann jeder Brasilianer, der sich durch die Gründung eines Indianerreservates geschädigt fühlt, vor Gericht Einspruch erheben. Eventuelle Einwände gelten auch rückwirkend.

„Die brasilianischen Indianer haben über fünfhundert Jahre gebraucht, um die Hälfte ihrer traditionellen Lebensgebiete in Reservate umzuwandeln. Nun ist mit einem einzigen Federstrich alles für ungültig erklärt worden“, empört sich Roberto Antonio Liebgott vom katholischen Indianermissionsrat „Cimi“. Nach Ansicht von Liebgott befindet sich das Recht auf der Seite der großen Mineralienkonzerne und Tropenholzexporteure, die eine Prozeßlawine in Gang bringen werden.

Liebgott warnt insbesondere die Bundesregierung, die Vergabe ihrer Gelder genauestens zu kontrollieren: „Es ist nicht auszuschließen, daß die Gelder künftig für die Revision bereits markierter Gebiete eingesetzt werden und nicht für die Markierung neuer Reservate.“

Die Bundesregierung bringt im Rahmen des auf dem UNO-Umweltgipfel in Rio 1992 beschlossenen Pilotprogramms zur Rettung des Regenwaldes rund 37 Millionen Mark für die Abgrenzung von Indianergebieten in Brasilien auf.

Nilmario Miranda, Abgeordneter der brasilianischen Arbeiterpartei (PT), rechnet mit einem „totalen Stillstand“ bei der Abgrenzung von Reservaten. „Cardoso hat eiskalt kalkuliert“, erklärt der Indianerpolitiker. „Die Investitionen für den Abbau von Bodenschätzen wie Eisenerz, Zinn, Gold und Tropenhölzern sind wesentlich umfangreicher als die internationalen Gelder zur Demarkierung von Indianergebieten.“

Neben der Lobby großer Konzerne wisse Cardoso auch das Militär hinter sich, das den internationalen Druck zugunsten von Indianerreservaten stets als Einmischung in Brasiliens innere Angelegenheiten kritisiert hat. „Uns bleibt nur noch eine letzte Möglichkeit“, so Miranda. „Wir werden gegen die Revision des Dekretes vor Gericht ziehen.“ Kritiker befürchten ein Ende vieler Indianerkulturen, letztlich einen Ethnozid.

Bei der offiziellen brasilianischen Indianerschutzbehörde Funai hält man die Sorge der regierungsunabhängigen Organisationen für unangemessen. „Keines der bereits 238 registrierten Reservate wird wieder aufgehoben“, garantiert Pressesprecher Edson Luiz Ferreira. Auch die noch anstehenden Demarkierungen würden durch die Revision des Dekretes nicht negativ beeinflußt.

Der langwierige Demarkationsprozeß – Definition des Gebietes, Abgrenzung, Entschädigung Betroffener und offizielle Übernahme durch den brasilianischen Bund – würde durch das neue Dekret sogar auf eine Frist von 90 Tagen verkürzt, beteuert Ferreira.

Brasiliens Präsident Cardoso traf sich im April vergangenen Jahres als erstes Staatsoberhaupt mit Indianergruppen in der Amazonasmetropole Manaus (die taz berichtete). Trotz seiner vielfachen Versprechen, Brasiliens Urwälder und Ureinwohner zu schützen, schlingert die offizielle Umweltpolitik immer tiefer in die Bedeutungslosigkeit hinein, wie Mitarbeiter des Umweltministeriums selbst einräumen.

Justizminister Nelson Jobim, dem die offizielle Indianerbehörde Funai untersteht, gilt in Fachkreisen als ausgesprochener Indianerfeind. Vor seinem Amtsantritt im Januar 1995 arbeitete Jobim als Anwalt für das Amazonasbundesland Para und vertrat die Interessen großer Mineralienkonzerne.

Bei der Gründung von Indianerreservaten blieb Cardoso weit hinter seinen Vorgängern zurück. Zusammen mit vergangene Woche angekündigten 17 neuen Reservaten beläuft sich die Bilanz bis jetzt auf zwanzig Neugründungen. Astrid Prange