■ Die schwindsüchtige FDP versucht den begrenzten Konflikt mit Kohl. Die Gerüchte, daß vier FDPler zur SPD überlaufen wollen, sorgen trotz Dementis für Krisenstimmung im Regierungslager. Auch zwischen CDU und CSU wird der Ton harscher
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Die schwindsüchtige FDP versucht den begrenzten Konflikt mit Kohl. Die Gerüchte, daß vier FDPler zur SPD überlaufen wollen, sorgen trotz Dementis für Krisenstimmung im Regierungslager. Auch zwischen CDU und CSU wird der Ton harscher

Kein Platz zum Aussitzen

Bis vor kurzem noch ging es Helmut Kohl wie dem Feldherrn in Kurosawas großem Alterswerk „ran“: Bewegungslos thronte er auf dem Hügel über dem Gelände der Schlacht, seine bloße, unverrückbare Anwesenheit war der Garant des Sieges. Nur wenige Wochen nach Oskar Lafontaines Machtübernahme in Mannheim scheinen die Rollen vertauscht.

Jetzt ist es der Bonaparte von der Saar, der kraft seiner schieren politischen Existenz die Szene bestimmt. Herablassendes Mitleid auf der Regierungsbank für die jeder Aktion unfähige Opposition ist hysterischen Beschwörungen der Harmonie im Regierungslager gewichen. Mittels einer überaus geschickten Intrige hat der aus dem Schattenreich zurückgekehrte Rudolf Scharping Gift ins Gemüt der eh schon verzagten Liberalen geträufelt: Vier FDP-Abgeordnete hätten bei seiner Fraktion wegen eines möglichen Gaststatus vorgesprochen. Die Namen wolle er diskretionshalber nicht nennen. Die Dementis vom vergangenen Wochenende schürten nur weiteren Verdacht. Der SPD-Vize solle sein mieses Spiel beenden, hieß es lahm. Und: aus den Reihen der FDP werde es keine Fremdenlegionäre geben.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger versichert kategorisch, an ihrem Busen keinen Verräter zu nähren. Die Aktivisten ihres „Freiburger Kreises“, die alten Schlachtrösser Hirsch und Baum, erklären unisono, ihren Kampf für liberales Gedankengut nur und ausschließlich im Rahmen der FDP führen zu wollen. Aber gleichzeitig ist bei Hirsch die Rede von Gerhardt als einem Vorsitzenden „auf Bewährung“, ganz so, als ob der Jobinhaber bei schlechter Amtsführung den Rest seiner Karriere hinter Gittern verbringen müsse. Zwischen den auf die „klassischen“ Freiheitswerte verpflichteten Freiburgern und den Programmatikern à la Westerwelle, die unter Freiheit wesentlich Steuerfreiheit verstehen, sind allenfalls Formelkompromisse möglich. Die aber will die FDP-Führung künftig gerade vermeiden.

Die FDP-Führung versucht andererseits das in ihrer Situation Unmögliche: den begrenzten Konflikt mit der CDU um die Kürzung des Solidarbeitrags schon für das Jahr 1997. Wenn auch die Wortwahl des Vorsitzenden Gerhardt vorsichtig ist („der Partner muß wissen, wie wichtig die Sache für uns ist“) – der konfrontative Effekt ist beabsichtigt. Als aber Waigel zurückkontert, im Fall einer Blockade des Haushalts 1997 sei die Koalition beendet, und zwar „in diesem Augenblick“, da weichen alle Beteiligten zurück. Michael Glos, CSU-Landesgruppenchef, kommentiert mehr entsetzt als ironisch: „Die Liberalen verhalten sich, als ob sie aus Angst vor dem Tode Selbstmord begingen.“ Aber auch zwischen den christlichen Schwestern wird der Ton harscher. Stoiber macht, was er am besten kann: den Einpeitscher. Seine Breitseite gegen die eigenen Minister in Bonn und gegen die eigene CSU-Landesgruppe trifft von der Telekom-Gebührenerhöhung über die Einführung der Euro- Mark bis zur Krankenhausreform des Parteifreundes Seehofer so ziemlich alle Themen, aus denen populistischer Gewinn destilliert werden kann. Ein neuer Ton läßt aufhorchen: Immer nachdrücklicher wird Kohl dazu gedrängt, noch für einen weiteren Wahlkampf als Kanzlerkandidat „zur Verfügung zu stehen“. Ein Anti- Schäuble-Manöver, verständlich nur, wenn innerhalb von CDU und CSU allen „Blödsinn“-Rufen zum Trotz vorgezogene Neuwahlen ins Kalkül gezogen werden.

Alles nur von einer eklatlüsternen Presse herbeigeschrieben? Oder vielleicht das Resultat eines Selbstläufers, ein Beispiel der self- fulfilling prophecy, nach der man nur lange genug von der Nichtexistenz der Regierungskrise reden muß, um sie tatsächlich herbeizuführen? Kaum. Es fällt schwer, trotz unterschiedlicher Ausgangsbedingungen, nicht an das Jahr der Wende, an den „Winter unseres Mißvergnügens“ 1982/83 zu denken. Damals war es die „Krise des Steuerstaates“, die den Wohlfahrtsstaat in die Krise und die sozialliberale Koalition ins Grab stieß. Entgegen vielen Befürchtungen von linker Seite schreckte dann Kohl doch vor einer Wirtschafts- und Sozialpolitik à la Margaret Thatcher zurück.

Heute sieht sich die konservative Regierung vor der Aufgabe, im Zeichen des „Wettbewerbsstaats“ die nationalstaatlichen sozialen Sicherungen zugunsten einer Anpassung an die internationalisierte Ökonomie zu beseitigen. Aber gleichzeitig schreckt sie vor den innenpolitischen Folgen dieses sozialen Rollback zurück. Die Ökonomie ist die Mutter auch der gegenwärtigen Regierungskrise. Trostlos nur, daß mit Lafontaines Partei keine Alternative bereit steht, die das Primat einer sozial bestimmten Politik durchsetzen würde. Christian Semler