„Aus unserer Schwäche eine Stärke gemacht“

■ Große Erleichterung auf dem SPD-Parteitag. Zustimmung zu Vereinbarungen erwartet

Die Aspirin-Packung fiel Peter Strieder an der Garderobe aus Versehen aus der Manteltasche. Er habe sich auf einen Parteitag mit ermüdenden Auseinandersetzungen eingestellt, teilte er mit. Doch als er vor Beginn der Versammlung von gut 300 Delegierten in der Kongreßhalle am Alexanderplatz vom neuen Koalitionsergebnis erfuhr, lächelte er: „Das Ergebnis ist so gut, da könnte der Parteitag in zwei Stunden vorbei sein.“

Der stellvertretende Bundesvorsitzenden Wolfgang Thierse, der erst am Abend in Berlin eintraf, war erleichtert, als er aus dem Radio von den fünf Ressorts für die SPD und der Zuständigkeit bei der Finanzpolitik erfuhr. „Das ist Dialektik!“ jubelte er. „Wir haben aus unserer Schwäche eine Stärke gemacht.“ Die SPD habe zwar die Wahlen verloren, doch den strategischen Vorteil genutzt, daß nur die SPD für die CDU als Partner in Frage komme.

Ein deutliches Signal setzte vor Beginn des Parteitages bereits der Landesausschuß, der sogenannte kleine Parteitag der SPD: Das Gremium nahm die Einigung mit einer breiten Mehrheit von 29 zu 5 Stimmen bei 4 Enthaltungen an. SPD- Chef Detlef Dzembritzki zeigte sich zu Beginn des Parteitages zuversichtlich, daß es eine Mehrheit für die Fortsetzung der Großen Koalition geben werde.

Zwar begann der Parteitag mit einer Verspätung von fünfundvierzig Minuten. Doch nicht einmal der Abgeordnete Hans-Georg Lorenz, einer der heftigsten Kritiker der Großen Koalition, glaubte am Abend noch an den Wechsel auf die Oppositionsbank. Zu den Nachverhandlungen sagte er salomonisch: „Ich habe nie gehofft, daß etwas Besseres herauskommen würde.“ Er wußte, was die Koalitionsgegner auf dem Parteitag trotz des Erfolgs ihrer Verhandlungsführer bemängeln würden. Die SPD hätte nicht Finanzen, sondern Inneres erstreiten müssen, um so mächtigen Einfluß auf die Personalpolitik für 174.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst zu bekommen.

Zu den Mißvergnügten gestern abend zählten auch Koalitionsgegner Erich Pätzold und Senatsbaudirektor Hans Stimmann. Pätzold stänkerte gegen die fünf Ressorts für die SPD: „Die Große Koalition wurde durch Zellteilung gerettet.“ Vor Beginn des Parteitags wollte er mehr nicht sagen: „Sie hören von mir auf dem Podium.“ Stimmann, den ein zukünftiger CDU- Bausenator aus dem Amt jagen wird, verwies auf seinen Vertrag: „Ich bin Beamter auf Lebenszeit.“

Vor Beginn des Parteitags demonstrierten mehr als 2.000 Menschen gegen finanzielle Einschnitte im Schul- und Bildungsbereich. Die Teilnehmer wollten noch zum Roten Rathaus ziehen, wo ein CDU-Parteitag über den Koalitionsvertrag beriet. Zu der Demonstration hatte die Lehrergewerkschaft GEW aufgerufen. Sie befürchtet vor allem einen drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit unter Lehrern. CDU und SPD wollen bis 1999 insgesamt 3.600 Pädagogenstellen abbauen. Auch Studenten der Pharmazie und der Zahnmedizin beteiligten sich an der Aktion. Dirk Wildt