Auf Anti-Europa-Kurs nach Bonn

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber profiliert sich auf Kosten seiner Parteifreunde als Euro-Gegner. Er will eine bundespolitische Rolle spielen – wie sein großes Vorbild Franz Josef Strauß  ■ Von Bernd Siegler

Sein Lächeln wirkt wie immer: nicht befreiend, sondern eher gezwungen. Die Anspannung steht ihm ins Gesicht geschrieben, die Gesten wirken steif. Ein Strahlemann war er noch nie, aber ein nimmermüder Kämpfer – der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Nicht umsonst lautet sein persönliches Lebensmotto: „Nicht nachlassen“.

Nicht nachlassen, das hat der 54jährige von seinem langjährigen Mentor Franz Josef Strauß (FJS) gelernt. Als CSU-Generalsekretär und Leiter der Staatskanzlei war er das „blonde Fallbeil“ aus Bayern, der Mann, der stets zur Stelle war, wenn es galt, FJS den Rücken freizuhalten. Später, als Vorsitzender der CSU-Grundsatzkommission, bereitete er zielstrebig an der Parteibasis seinen Karrieresprung in den Ministerpräsidentensessel vor. Nach Max Streibls Amigo-Abtritt schlug er Theo Waigel aus dem Rennen. Kaum inthronisiert, gerierte sich Stoiber nicht nur als Saubermann der CSU, sondern auch als gütiger Landesvater. Der muß sich nicht nur zum „Botschafter der deutschen Wurst“ oder zum Ehrenleutnant der Wolfratshausener Gebirgsschützenkompanie ernennen lassen, sondern auch dem Volk aufs Maul schauen. Und jetzt, Ende der Fahnenstange erreicht?

„Ich versuche nur, Gefühle und Stimmungen der Bevölkerung aufzugreifen“, begründet Stoiber seine harsche Kritik an der vor allem von den CSU-Bundesministern verantworteten Währungs-, Gesundheits- und Postpolitik. Teilnehmer der traditionellen Klausur der Bonner CSU-Landesgruppe letzte Woche in Wildbad Kreuth waren über Stoibers Auftritt mit erhobenem Zeigefinger so erbost, daß sie der Presse steckten, der Ministerpräsident habe sich wie „ein Brüllaffe“ aufgeführt und sei von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer des „Populismus“ geziehen worden.

„Den Schuh des Populismus ziehe ich mir nicht an“, entgegnete Stoiber scharf – ganz im Gegensatz zur offiziellen Parteilinie, den Konflikt möglichst als „Wahrnehmungstrübungen“ einiger Teilnehmer herunterzuspielen. Zusammen mit dem CSU-Fraktionsvorsitzenden im bayerischen Landtag, Alois Glück, betonte der Ministerpräsident gestern bei der Klausur der Landtagsabgeordneten noch einmal, daß beim europäischen Einigungsprozeß in jedem Fall „Stabilität Vorrang vor Geschwindigkeit“ besitze. Beflügelt durch die wachsende Euro-Skepsis in der Bevölkerung und auch von Tendenzen innerhalb der SPD, plädierte er für eine Verschiebung der Währungsunion, da der Kreis derer, die die Stabilitätskriterien des Maastrichter Vertrages einhalten können, nicht allzu groß sein werde.

Eine Währungsunion von nur wenigen „Kernländern“ könne sich aber nur „spalterisch“ für Europa auswirken, warnt Stoiber nicht ohne Hintergedanken. Schließlich käme ihm eine Verschiebung zupaß, will er doch unter allen Umständen vermeiden, daß die 1999 anstehende Abschaffung der DM schon 1998 Wahlkampfthema im Bund und bei ihm im heimischen Bayern wird. Ein Konflikt mit CSU-Chef Theo Waigel, der als Architekt der Währungsunion gilt und in Treue fest zu Kohls Europapolitik steht, ist da nebensächlich.

Von der hat sich Stoiber sowieso schon längst verabschiedet. Schon im Vorfeld der Europawahlen im Juni 1994 war es vorbei mit der mühsam austarierten Balance in der CSU-Doppelspitze Waigel/ Stoiber. Um Profil in Bayern zu gewinnen, grenzte sich Stoiber von Bonn ab, ließ Waigel im Regen stehen und präsentierte sich als Euro- Pessimist. Er schalt Europa eine „Kopfgeburt“ und plädierte gleich für einen Bruch mit der gesamten Nachkriegspolitik der Union von Adenauer bis Kohl. So verlangte Stoiber eine „Chance zum jederzeitigen Austritt“ und warnte vor einem Verlust „deutscher Identität“. Kohl konterte und warf dem CSU-Vize „populistische Verbeugung vor dem Zeitgeist“ vor.

Das beeindruckte Stoiber nicht. Bei seinen Wahlkampfauftritten stellte er unbeirrt die negativen Seiten Europas in den Vordergrund. Zu tief steckte ihm der Absturz der CSU fünf Jahre zuvor noch in den Knochen, als die rechtsextremen „Republikaner“ mit Anti-Europa-Parolen knapp 15 Prozent im Freistaat holten. Der Erfolg gab ihm recht. Die CSU gewann die Europawahlen im Freistaat mit 48,9 Prozent. „Ich habe doch nur eine Reihe von Defiziten angesprochen“, rechtfertigte Stoiber danach seine Linie gegenüber Waigel, den es wurmte, sich stets als Sparkommissar und Rekordschuldenmacher unbeliebt zu machen, während Stoiber sich als Landesvater die Rosinen herauspickte.

Genau dieser Konflikt brach in Wildbad Kreuth auf. „Man kann nicht in Bonn pro und in München gegen Europa sein“, stellte CSU- Landesgruppenchef Michael Glos klar. Zudem beschloß die Bonner CSU-Landesgruppe unter dem Eindruck von Waigels Sparappell ein 20-Punkte-Papier mit unpopulären Einsparungen im Sozialbereich. Und Stoiber, die morgige erste Runde des bayerischen Bündnisses für Arbeit fest im Blick, schränkte ein, daß bei allen Einschränkungen doch die „soziale Symmetrie stimmen“ müsse. Angesichts dieser Linie platzte Seehofer der Kragen: Es könne nicht angehen, daß „München für das Gute, Menschliche und Schöne zuständig ist und die Deppen in Bonn runter müssen in die Niederungen der Politik, wo man Mehrheiten zusammenkriegen muß“. Da täuscht sich Seehofer, denn dies geht schon seit langem an. Jahrelang hatte FJS eine solche Marschroute erfolgreich vorexerziert, und schon zu Straußens Lebzeiten hatte Stoiber immer wieder getönt, er werde sich „niemals von Strauß in irgendeiner Weise absetzen“.

Kein Absetzen von Strauß heißt in letzter Konsequenz auch Anwärterschaft auf das Kanzleramt. Stoibers Kritiker sagen dem Ministerpräsidenten denn auch nach, daß er nach Strauß der zweite Kanzlerkandidat der CSU werden möchte. „Der Kampf der Giganten hat begonnen“, kommentierte ein Kreuth-Teilnehmer den CSU-Dissens. Da gilt es für Stoiber, nicht nur den innerparteilichen Hoffnungsträger und Waigel-Spezi Horst Seehofer in seine Schranken zu weisen und den designierten Kohl-Nachfolger Wolfgang Schäuble zu demontieren („Der bringt es nicht“), sondern sich bundesweit zu profilieren. So reist Stoiber nach China, bestreitet den CDU-Wahlkampf-Auftakt in Schleswig-Holstein, wird auf dem CDU-Parteitag in Niedersachsen reden und meldet sich zu allen bundespolitischen Themen zu Wort. Er sei eben, so die bescheidene Selbsteinschätzung, „ein 150prozentiger“.