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SanssouciNachschlag

■ Katja Lange-Müller und Durs Grünbein lasen im Dino-Park

Die ZuhörerInnen sitzen eingeschüchtert auf den Holzbänken. Vor ihnen, in der großen Halle des Museums für Naturkunde, dräut ein gewaltiges Knochen-Konstrukt – das komplette Skelett eines Brachiosaurus brancai, ugs.: Riesensaurier. Wer durch den Dino nicht schon paralysiert ist, wird durch die kleine Papptafel davor noch einmal im Museums-Deutsch ermahnt: „Bitte nicht berühren.“ Nicht unbedingt die ideale Ausgangssituation für eine Lesung.

Doch nach den ersten Sätzen aus Katja Lange-Müllers Erzählband „Verfrühte Tierliebe“ hat niemand mehr Angst. Die mit Säulen, Gedenktafeln und einem Zwei-Sekunden-Echo stark an eine Kirche erinnernde Halle verliert ihre eiszeitliche Kälte und wird zum Erzähl-Raum. Voll von Ironie und Distanz gegenüber ihren Figuren liest die Schriftstellerin eine bizarre Episode aus dem Leben eines 14jährigen, wild pubertierenden Mädchens, das von einer Karriere in der Biologie träumt und mit einem alternden Zoologen auf Käferjagd geht. Zwischen erotischen Phantasien, Teenager-Trotzigkeit und naturwissenschaftlichem Ernst schwankend, fühlt es sich wie ein „Hahnenfußgewächs im falschen Biotop“ – die Expedition kurz hinter die Stadtgrenze Ostberlins endet entsprechend desaströs.

Die Vitrinen mit Insekten und anderem Kleingetier sind im Naturkundemuseum erst einige Räume weiter zu finden – doch Käfer-Prosa scheint den Dichtern leicht von der Hand zu gehen. Daher wandte sich auch Erfolgspoet Durs Grünbein dem Kleinvieh zu. Er hat für die Lesung am vergangenen Mittwoch im Rahmen des „Schauplatz Museum“ eine wunderschöne Verfallserzählung von einem sich selbst sezierenden Präparator ausgegraben. Danach Gedichte. Mit naturkundlichen Bildern wie „Homo Sapiens Correctus“, „Taxien“ oder dem „Museum der Mißbildungen“ ist das Werk des Büchnerpreisträgers ja reich gesegnet. Ambiente und Text arbeiteten bei beiden Schriftstellern immer wieder gegeneinander – Krabbelkäfer wie bei Max und Moritz mußten sich gegen uralte Riesenknochen behaupten, Grünbeins Poesie der Mikrostrukturen dem Hallen- und Tempelcharakter des Raums widerstehen. Eine aufregende Konfrontation, die an manchen Stellen vielleicht sogar die sonst eher stoisch-reglosen Ichthyosaurier anrühren konnte. Kolja Mensing

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