Feste Schläge, saubere Schnitte

■ Ist es unschicklich, Realität abzubilden, auch wenn diese übermäßig gewalttätig erscheint? Schweden sagt ja und zensiert Martin Scorseses neuesten Film „Casino“

Das schwedische Kinopublikum wird vermutlich auf Martin Scorseses neuesten Film verzichten müssen. „Casino“ sollte eigentlich am 8. März gleich mit 70 Kopien im Lande Premiere haben, doch im Augenblick sieht alles danach aus, als ob dieser Film überhaupt nicht in die Kinos kommen sollte. Weil Scorsese es nicht will. Die schwedische Filmzensur hat nämlich so gründlich in „Casino“ herumgeschnippelt, daß der US- Regisseur diese Schnitte als „Schaden für die Integrität“ seines Werks ansieht, welche dessen „dramatische Balance empfindlich ändern“. Monika Tromm von der „Casino“-Verleihfirma UIP kann sich deshalb nicht vorstellen, daß Scorsese einen derart zensierten Film vorführen lassen will.

An drei Stellen hat das staatliche Filmzensurbüro insgesamt mehrere Minuten aus dem Dreistundenwerk herausgeschnitten. Szenen, die man in Stockholm als „unnötig grausam“ bewertet hat und daher den KinobesucherInnen nicht zumuten will. Der Schere zum Opfer fielen zwei als besonders grob bewertete Gewaltszenen: wie der Kopf eines Opfers in einen Schraubstock gespannt und dieser zugedreht wird und wie ein anderes Opfer mit einem Baseballschläger zu Tode mißhandelt wird. Diese Szenen seien, so Filmzensur- Direktorin Gunnel Arrbäck „verrohend“, auch ohne sie bleibe „die Handlung geschlossen und für den Betrachter verständlich“. Sie könnten daher ohne Schaden für den Film entfallen.

Martin Scorsese sieht es anders. In einem jetzt veröffentlichten Brief vom 5. Januar hat er den Obersten Gerichtshof in Stockholm aufgefordert, die Eingriffe der Zensurbehörde wieder aufzuheben. Die Filmverleihfirma hatte bei diesem Gericht Beschwerde wegen der Schnitte eingelegt. Doch Scorseses Brief kam zu spät: Der Oberste Gerichtshof hatte bereits entschieden und sieht keinen Grund, das Urteil der Zensurbehörde aufzuheben. Anders noch vor vier Jahren: Da hatte das Gericht die Zensur zurückgepfiffen, als diese sich an einem anderen Scorsese-Film vergangen hatte. Elf Sekunden sollten damals aus „Cape Fear“ geschnitten werden. Zwar hat das Zensurbüro höflichkeitshalber zugesagt, die „Casino“-Schnitte aufgrund der Scorsese-Stellungnahme noch einmal zu überdenken, doch fühlt man sich dort aufgrund des Gerichtsvotums allemal bestätigt.

Schweden kennt weder eine Theater-, Video- oder Fernsehzensur. Eine Pressezensur natürlich schon gar nicht. Die Filmzensur ist ein Relikt aus der Zeit der Jahrhundertwende: Die Filmindustrie hatte sich eine einheitliche staatliche Zensurbehörde gewünscht, damit nicht jeder Ortspolizist einen Film stoppen konnte, den er für unschicklich hielt. Und so kann die „Kinoordnung“, die eigentlich gegen das grundgesetzliche Zensurverbot verstößt, auf eine stolze Liste von jedenfalls im nachhinein allerseltsamst anmutender Zensureingriffe zurückschauen: Von einem Totalverbot gegen „491“ bis zu lächerlichen Schnitten in Walt Disneys „Schneewittchen“ und in Pippi-Langstrumpf-Filmen. Besondere Schizophrenie: Weil das Öffentlichkeitsprinzip in Schweden heilig ist, müssen die herausgeschnittenen Szenen zur Einsicht für jeden Interessierten beim Zensurbüro zur öffentlichen Einsichtnahme bereitgehalten werden. Gratis. Reinhard Wolff