Mietfrei bis ins nächste Jahrtausend

■ Die Eigentümer zeigen sich zunehmend ungeduldig gegen Besetzer. Demonstration gegen den wachsenden Druck auf seit Jahren besetzte Häuser

„Unglaublich, aber wahr“, bezeichnen die BewohnerInnen der seit Jahren besetzten Häuser in Berlin ihre Lage. „Obwohl wir mitten im boomenden Berlin wohnen, zahlen wir keinen Pfennig Miete.“ Um „radikal und mietfrei ins nächste Jahrtausend“ zu gelangen, werden sie heute vom Rosa-Luxemburg-Platz in den Prenzlauer Berg ziehen, denn der Druck auf die Häuser nimmt zu. Erste BesetzerInnen wurden bereits Ende letzten Jahres durch eine Räumung obdachlos, anderen droht das gleiche Schicksal in den nächsten Wochen. Elf der Häuser ohne Vertrag, die für viele obdachlose Jugendliche und ImmigrantInnen einziger Fluchtpunkt sind, fordern nun gemeinsam eine Nichträumungsgarantie vom Senat, bis eine politischen Lösung gefunden ist.

Ziel der Demonstration ist der Helmholtzplatz. Dort leben seit über drei Wochen die ehemaligen BesetzerInnen der Schliemannstraße 10 in einem Zelt. Ihr Haus wurde nach einem Brand am zweiten Weihnachtstag, bei dem zwei Menschen starben, geräumt. Zwar haben die Mitglieder des Bezirksamtes Prenzlauer Berg eingesehen, daß die Lösung ein ganzes Haus wäre. Ein solches Objekt steht aber nicht zur Verfügung, so ihr Argument. Die angebotene Einzelunterbringung lehnten die Obdachlosen ab, da sie im sozialen Zusammenhalt der Gruppe leben wollen. Die vier Landtagsabgeordneten der PDS aus Prenzlauer Berg protestierten gegen die Untätigkeit des Bezirksamtes und fordern eine weitere Duldung in der Schliemannstraße.

Eine Räumung droht auch den seit sieben Jahren besetzten Häusern in der Marchstraße in Charlottenburg. Deren Eigentümerin, die Hennig, von Harlessem & Co GmbH hat nach vierjährigem Rechtsstreit Räumungstitel gegen 13 in der Marchstraße gemeldete Personen erwirkt. Zehn davon können ab 1. Februar vollstreckt werden. Die Urteile passen nur bedingt auf die Lage in den Häusern. Viele der Beklagten wohnen nicht mehr dort, andere Bewohner wurden nie verklagt. Da die Prozesse abgeschlossen sind, befürchten die BewohnerInnen eine Räumung des gesamten Geländes. Eine polizeiliche Durchsuchung Mitte Dezember werten sie als Räumungsvorbereitung. Die BVV Charlottenburg sprach sich für eine Aussetzung der Räumung aus.

Zunehmend ungeduldig zeigen sich die Eigentümer der Häuser. Viele haben diese in den vergangenen Jahren als günstige Sanierungsobjekte erworben und hoffen nun auf die Rendite. Immer häufiger versuchen sie dabei, den langwierigen Rechtsweg abzukürzen. Die Münchner Thies und Launicke, Käufer der Linienstraße 158/159 in Mitte, vertrieben mit einem privaten Räumtrupp im Juni vergangenen Jahres die BewohnerInnen und wurden erst durch eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts gestoppt. Im Oktober wurden Vermessungsarbeiten durchgeführt, bei denen aber weniger die Raumgrößen, als die Schrankinhalte der BewohnerInnen begutachtet wurden. Weitere vom Bezirksamt unterstützte Begehungen werden derzeit verhandelt. Gleich um die Ecke versuchte der Eigentümer der Kleinen Hamburger Straße 5 am Mittwoch ohne Vorankündigung ein Baugerüst aufzustellen. Auch hier ist ein Räumungsprozeß anhängig. Gereon Asmuth