Spinnweben oder Rauhreif?

■ Jeder kennt ihn, jeder summt die Titelmelodie. Aber was wissen wir noch von „Dr. Schiwago“? (Sa., 19.00 Uhr, Sat.1)

Der Film war einer der größten Kassenerfolge der sechziger Jahre und sahnte fünf Oscars ab. Sein Soundtrack zum Mitsummen stürmte die Charts und ließ die Plattenspieler zerschmelzen: Dr. Schiwago, die Revolutions-Lovestory nach dem Nobelpreisroman von Boris Pasternak. Doch was wissen die Menschen noch von diesem Film, der vor 30 Jahren „das Bild vom alten Rußland prägte und verfestigte wie kaum ein anderes Kino-Opus“ (Filmlexikon)? Was ist bis heute hängengeblieben vom Dreiecksdrama zwischen Jurij, Tonya und Lara?

Gisela M. heulte damals gemeinsam mit einer Freundin im Kino. Warum sie sich „diesen Kitsch“ unbedingt ansehen wollte, weiß sie nicht mehr: „Vielleicht wegen des Ost-West-Konflikts?“ Am stärksten hat sie Dr. Schiwagos Liebeslager beeindruckt, „das spinnenverwebte Haus draußen in der Steppe“.

Babette R. erinnert sich noch daran, daß der Film „traurig mit einer Beerdigung beginnt und kein Happy-End hat“. Beeindruckt war auch sie von der Liebesdatsche. Allerdings meint sie, keine Spinnweben gesehen zu haben, sondern „daß sich an den Innenwänden des Blockhauses der Frost niederschlug“. Ihr Ehemann hingegen behauptet, „nur die Scheiben“ seien zugefroren gewesen.

Gut eingeprägt haben sich die Szenen im Blockhaus auch bei Karin P. Für sie steht allerdings ein anderes Detail im Vordergrund: „Die riesige, mit Rauhreif überzogene Bettdecke aus Pelz. Das war für mich ein Inbegriff der Exotik.“ Angesichts der „Bilder der unheimlichen Kälte“ und der „grandiosen Weite der Winterlandschaften“ habe sie so richtig „gezittert“ um das Liebespaar, dem auf der Flucht auch noch „die Tinte einfror“. Die „politische Dimension“ empfand Karin P. damals als „gering und eher verwirrend“. Ganz wie die zeitgenössische Filmkritik.

Lothar N. hat noch gut „die Birken“ im Sinn und die „wunderbare“ Musik. „Wir haben den Roman und die Platte.“ Er weiß noch, daß Dr. Schiwago damals aus dem elterlichen Erbe nur die Balalaika mitnahm und darauf spielte. Lothar N. versucht, die drei schönsten Musikstücke zusammenzukriegen: „At the Cemetary“, den „Koslowski Waltz“ oder so ähnlich und natürlich „Lara's Theme“. Als Brillenträger erinnert er sich schaudernd an den „grausamen Bolschewiken-Führer, der ganz schön aufräumt unter den Zaristen und dessen Brille dann im Schnee zerbricht“. Wie der hieß? „Fängt mit O an. Aber nicht Ossietzky.“

Das sei einer dieser Monsterfilme wie „Ben Hur“ oder „Lawrence von Arabien“ gewesen, meint Wolfgang S., „mit Pause, wie im Theater“. Den stärksten Eindruck haben bei ihm die „Revolutions- und Kriegsszenen“ hinterlassen, die „unaufhaltsame, gußeiserne Lokomotive als Symbol, Trotzki-Verschnitt obendrauf, gekreuzte rote Fahnen vornedran“.

Und dann ist da natürlich die tragische Szene mit der Straßenbahn, als Dr. Schiwago seine große Liebe Lara noch einmal sieht, sich aber nicht bemerkbar machen kann. Umstritten ist nach 30 Jahren allerdings, ob Dr. Schiwago sich innerhalb der Straßenbahn befindet und „wie wild an die Scheiben klopft“ (Wolfgang S.) oder ob er verzweifelt hinter der Bahn herläuft (Babette R.). Sicher ist dagegen: Am Ende hat Dr. Schiwago nur noch eine Herzwand „so dünn wie Pergament“ (Lothar N.). Philip Kahle