Wenn Babies süchtig sind

■ Jährlich werden in Bremen ca. 30 Kinder von Müttern, die von Methadon abhängig sind, geboren / Aber die Hilfe durch Familienhebammen werden weggekürzt

Vor zwei Jahren ist Andrea M.* (alle Namen von der Redaktion geändert) umgestiegen: von Heroin auf Methadon. Ihr Lebenslauf ist typisch für die sogenannten „Substituierten“. Mit 18 hat sie angefangen, Heroin zu nehmen. Kurz darauf bricht sie die Lehre ab. Acht Jahre lang besteht ihr Leben aus Drogen und Drogenbeschaffung. Erst das ärztlich begleitete Methadon-Programm bringt die Wende: „Ein paar Wochen später war ich schwanger. Das hätte ich mir bei meinem kaputten Körper echt niemals vorstellen können.“ Das Kind zeigt bei der Geburt schwere Entzugserscheinungen und muß in der Kinderklinik über Wochen entgiftet werden.

Eine Familienhebamme spielt anschließend bei der Stabilisierung von Andreas Alltag eine entscheidende Rolle: „Ohne die regelmäßigen Besuche der Hebamme“, sagt die Mutter des heute eineinhalbjährigen Kevin, „hätte ich vielleicht längst aufgegeben.“

Doch gerade die Arbeit von Bremens Familienhebammen und Kinderkrankenschwestern, die Problemmütter oder Mütter mit Problemkindern langfristig betreuen, sei durch den Sparhaushalt in Gefahr, kritisiert die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Waltraud Hammerström. Heute gibt es gerade noch sieben Frauen, die sich auf den Weg zu den „Krisenmüttern und –kindern“ machen. Zwei vakante Stellen werden nicht neu besetzt. Dr. Jochen Zenker, Chef des Bremer Gesundheitsamtes: „Seit einem Jahr haben wir den totalen Stillstand. Immer wenn jemand in den Ruhestand kommt, geht ein Licht aus.“

Dabei ist die Arbeit der Familienhebammen seit zwei Bremer Modellprojekten in den 80er Jahren durchaus anerkannt. Ein Jahr lang, so das Konzept, werden auf Wunsch Schwangere und Mütter betreut, die irgendwie durchs soziale Netz gerutscht sind. Aidskranke und Methadonempfängerinnen ebenso wie Familien mit Zwillingen, krankem Kind und Mütter unter 18.

Derzeit werden von Familienhebamme Anne Fraas und ihren sechs Kolleginnen neben anderen Müttern allein 15 substituierte Frauen bei regelmäßigen Hausbesuchen beraten. Eine zeitaufwendige Arbeit. Denn es geht nicht nicht nur darum, wie man ein Kind badet. Behördengänge werden geplant, Beratungsstellen vermittelt, Impftermine verabredet, die Versorgung des Kindes gesichert.

Trotz Streß bleibt Ziel der wenigen Familienhebammen, so früh wie möglich Kontakt aufzunehmen. Am besten schon vor der Geburt. Dann könnten sie gemeinsam mit den Substituierten die Entbindungsklinik besichtigen, Gespräche mit betroffenen Wöchnerinnen und Ärzten vermitteln. Sie könnten die Frauen auf ihre Babys vorbereiten, die alle Symptome des Entzugs aufzeigen. Denn oft würden die Mütter mit riesigen Schuldkomplexen reagieren, weil ihre Kinder anders seien, sagt Psychologin Monika Busch von der Professor-Hess-Kinderklinik.

Babys von Mathadon-abhängigen Frauen sind nach der Geburt in der Regel übernervös, zittern, schwitzen, schreien hysterisch und kratzen sich dabei schon mal blutig. Oft werfen die Säuglinge den Kopf hin und her, ohne die Flasche zu finden. Atemstörungen, Durchfall und Gewichtsverlust sind häufig. In vielen Fällen dauere der Entzug mit Beruhigungs- und Schlafmitteln vier Wochen, berichtet Imke Gätjen, Kinderärztin am Krankenhaus Bremen-Nord.

„Die vorbeugende Wirkung durch Hebammen gegenüber späteren Schäden ist eindeutig gut und richtig“, sagt auch Gleichstellungsbeauftragte Ulrike Hauffe. „Aber sie wurde so runtergefahren, daß das ganze nur noch Makulatur ist.“ Wurden früher 400 Frauen betreut, so sind es nach Berechnungen der Familienhebammen heute gerade noch 270. „Zwei Bremer Stadtteile liegen brach“, berichtet Familienhebamme Fraas. Bremen Nord sei seit einem halben Jahr nicht mehr bedient worden. Und im Süden würden nur noch die brisantesten Fälle berücksichtigt.

Frust nicht nur bei den Familienhebammen, sondern auch bei den Kinderkliniken der Zentralkrankenhäuser Sankt-Jürgen-Straße und Bremen-Nord, wo insgesamt rund 30 Babys Methadon-abhängiger Frauen pro Jahr behandelt werden. Dr. Ulrich Irle von der Kinderklinik Bremen-Nord reagiert besorgt: „Mit jeder fehlenden Familienhebamme bricht ein Rad aus dem Getriebe der Betreuung.“ Wo das Land nicht mehr zahlen will, müssen seiner Meinung nach die Krankenkassen einspringen. Schließlich handele es sich um hochwirksame Präventivmaßnahmen. Und im Fall der Substituierten seien die Familienhebammen mehr oder weniger die einzigen, die zu den Frauen nach Hause gehen und sich vor Ort um die Versorgung des Kindes kümmern. Sabine Komm