Der Mörder kam nicht von draußen

■ Drei Tage nach der Lübecker Brandkatastrophe verhaftet die Polizei einen 20jährigen Libanesen. Der Bewohner des Flüchtlingsheims soll sich schon am Donnerstag selbst belastet haben. Politiker warnen vor „Erleichterung“

Lübeck (taz) – Die einen verdächtigten rassistische Neonazis, die anderen vermuteten einen Unglücksfall. Doch seit gestern erscheint die Brandkatastrophe von Lübeck in einem anderen Licht. Die Polizei hat den 20jährigen Libanesen Safwan E. verhaftet. Er soll für die schlimmste Mordbrennerei in einem deutschen Flüchtlingsheim verantwortlich sein. Dabei wurden am vergangenen Donnerstag zehn Menschen getötet und 38 zum Teil schwer verletzt. Safwan E. wohnte mit seiner Familie seit einem halben Jahr in dem Asylheim des Diakonischen Werks. Außer seiner und einer weiteren libanesischen Familie lebten dort Schwarzafrikaner. Safwan E. streitet die Tat ab.

Polizei und Staatsanwaltschaft begründeten ihren Verdacht mit Aussagen eines Zeugen und Ergebnissen der kriminaltechnischen Untersuchung. Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz erklärte, der Libanese habe nach seiner Rettung aus dem brennenden Haus zu einem Feuerwehrmann gesagt: „Wir waren es.“ Zugleich habe er „Wissen mitgeteilt, über das nur ein Täter verfügen kann“. Bereits am Donnerstag habe Safwan E. dem Feuerwehrmann den Ort genannt, wo der Brand ausgebrochen war. Sachverständige ermittelten die Brandstelle erst am Samstag.

Der Feuerwehrmann habe die Informationen erst am Freitag weitergegeben, weil er glaubte, er unterliege der Schweigepflicht. Während des Brandes sei der 21jährige, der im Dachgeschoß des Hauses wohnte, von der Feuerwehr mit einer Leiter aus einer lebensgefährlichen Situation gerettet worden. Anschließend habe er als Leichtverletzter bei den weiteren Rettungsarbeiten geholfen. Das Feuer sei an einer Stelle im ersten Stock entstanden, an der keine technischen Anlagen vorhanden seien, so daß ein technischer Defekt ausgeschlossen werden könne, so Polizei und Staatsanwaltschaft.

Auch ein Anschlag „von draußen“ wäre nicht möglich gewesen. Zum einen sei das Feuer an einer Stelle des Hauses ausgebrochen, die nicht von außen zu erreichen sei. Zum anderen sei die Haustür verschlossen gewesen.

Gegen Safwan E. ist am späten Samstagabend Haftbefehl erlassen worden. Vorwurf: zehnfacher Mord, versuchter Mord in 38 Fällen, schwere Brandstiftung, gemeinschaftlich begangen mit bislang unbekannten Mittätern. „Wir gehen davon aus, daß er es nicht allein war“, erklärte Staatsanwalt Michael Böckenhauer.

Beim Motiv hielten sich die Beamten mit Auskünften sehr zurück. Der Chef der Polizeidirektion Süd, Winfred Tabarelli, sagte lediglich, daß es Konflikte im Haus gegeben habe. Diese seien aber nicht offen ausgetragen worden. Nach noch unbestätigten Berichten soll es mehrfach Zwistigkeiten zwischen den Arabern und den Schwarzafrikanern gegeben haben. Die libanesischen Bewohner sollen sich bei den Betreuern des Hauses beschwert haben, als eines der afrikanischen Kinder eine ansteckende Krankheit hatte.

Der Sprecher der Afrikanischen Gemeinschaft in Lübeck, Bacar Gadji aus dem Senegal, reagierte betroffen auf die Ermittlungsergebnisse. „Die neuen Erkenntnisse ändern nichts an unserer Trauer. Aber es wäre ein Schock, sollte es einer von uns sein“, sagte er. Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel haben die Deutschen davor gewarnt, sich wegen des Haftbefehls gegen einen Bewohner des abgebrannten Lübecker Asylbewerberheims „erleichtert“ zu fühlen. Mit einem Protestzug durch die Lübecker Innenstadt hatten am Samstag rund 3.000 Menschen gegen Ausländerfeindlichkeit und für bessere Unterbringung von Flüchtlingen demonstriert.

Kersten Kampe Seiten 4 und 11