Ein Fotoalbum aus Auschwitz

Als die Amerikaner am 11. April 1945 in das KZ Dora bei Nordhausen kamen, da war unter den Häftlingen auch die neunzehnjährige Lili Jacob. Sie stammte aus den ungarischen Karpaten, aus Bilke, und war im Jahr zuvor am 26. Mai nach Auschwitz deportiert worden. So wie alle Juden, die damals in Bilke lebten. Ehe sie das KZ nach der Befreiung verließ, suchte sie noch nach wärmender Kleidung und fand in einer Wachstube der SS ein Fotoalbum.

Sie schlug die erste Seite auf und erkannte den Rabbi aus ihrem Heimatort. 184 Fotos folgten, aufgenommen von einem SS- Fotografen an jenem 26. Mai 1944. Fotos über die Ankunft der ungarischen Juden in Birkenau. Alle waren sauber eingeklebt und in Kapitel gegliedert. Viele Menschen erkannte sie da wieder: Verwandte (wie oben auf dem Bild, auf dem die Schwester ihres Vaters mit ihren fünf Kindern zu sehen ist), Freunde, Bekannte. Menschen, die alle nicht mehr lebten. Auf zwei Fotos entdeckte Lili auch sich wieder. Aus dem SS-Album wurde Lilis Album. „Lili Meiers Album“, wie es jetzt im Untertitel heißt. Fünfzig Jahre hat es gedauert, bis dieses Album in der Bundesrepublik veröffentlicht wurde. Es sind Fotos, die bewußt machen, daß in Auschwitz Individuen umgebracht wurden und nicht vier Millionen Juden, die keine Namen und keine Gesichter haben. Christoph Oellers

„Gesichter der Juden in Auschwitz. Lili Meiers Album“. Verlag Das Arsenal, Berlin 1995. 200 Seiten, 39 Mark.