Schattenmänner im Untergrund

■ Über die Frauen und Männer der Widerstandsgruppe „Onkel Emil“, die während des Krieges in Berlin aktiv war

Seit Dieter Wedels V-Mann- Fernsehspiel geistert „Der Schattenmann“ durch die Publizistik. Mal muß er als Überschrift herhalten für einen Artikel über das Comeback von Rudolf Scharping, mal für eine Kritik am großen Lauschangriff. Doch der Titel „Schattenmann“ ist viel älter und erzählt eine ganz andere Geschichte als das ZDF-Fernsehspiel: Vor fünfzig Jahren erschienen zum ersten Mal die Tagebuchaufzeichnungen von Ruth Andreas-Friedrich (1901-1977), einer Journalistin, die als Mitglied der Widerstandsgruppe „Onkel Emil“ gegen das Naziregime arbeitete. Sie wurden als erstes Buch einer nicht emigrierten Deutschen 1946 in New York unter dem Titel „Berlin Underground“ in englischer Übersetzung publiziert. 1947 kam das Buch in London heraus und im selben Jahr als „Der Schattenmann“ auch bei Suhrkamp in Berlin. Danach blieb es in der verdrängungsbereiten Nachkriegszeit jahrelang vergriffen.

In Deutschland fanden die Aufzeichnungen erst in den 60er und 80er Jahren das verdiente Interesse. Heute ist „Der Schattenmann (1938-1945) mit dem Ergänzungsband „Schauplatz Berlin“ (1945- 1948) bei Suhrkamp wieder zu haben.

Die Gruppe „Onkel Emil“, in der Andreas-Friedrich aktiv war, hatte Kontakte zum „Kreisauer Kreis“, zur „Roten Kapelle“ und zu Angehörigen der kommunistisch orientierten „Widerstandsgruppe Ernst“. Ruth Andreas- Friedrich und ihre 15 MitstreiterInnen beherbergten und betreuten Untergetauchte und politische Flüchtlinge, vor allem Juden und „Halbjuden“. Sie versorgten sie mit Lebensmitteln und gefälschten Papieren; sie entzogen Nazigegner mit Hilfe manipulierter Atteste dem Wehr- und Volkssturmdienst; sie verhalfen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen zur Flucht, verübten Werksabotage und entfernten Nazipropaganda aus dem öffentlichen Raum. Diesen alltäglichen Widerstand schildern die Tagebücher ebenso wie später die Enttäuschung, als nach 1945 ein wirklicher Neubeginn nicht stattfindet.

Ruth Andreas-Friedrich begann ihre Tagebuchaufzeichnungen im Jahre 1938. Unmittelbare Motivation für ihre Notizen waren, wie sie später schrieb, Konflikte mit emigrierten Freunden, die nicht verstanden, warum sie selbst in Deutschland geblieben war. Ihre Tagebücher sollen eine „Zeugenaussage am Tag X“ sein. Das mag eitel klingen, doch ihre Aufzeichnungen sind weit davon entfernt. Das zum Druck überarbeitete Manuskript enthält sich fast völlig der schönen Schreibe, „will kein Kunstwerk sein“ (Andreas-Friedrich). Nur an einigen Stellen bricht das Pathos durch. „In der Nachkriegsliteratur gab es davon eben mehr, als wir heute ertragen können“, meint dazu der Literaturwissenschaftler Jörg Drews, der über den „Schattenmann“ geforscht hat und das Nachwort schrieb.

Die Tagebücher, so Drews, „machen uns etwas faßlicher, was im Grunde unfaßlich bleibt“. So wie diese Szene, die die Autorin am 4. Februar 1944 notiert. Da stirbt plötzlich eine „untergetauchte“ Frau, die Bekannte versteckt hatten: „Wir haben sie in unseren Waschkorb gelegt, mit Leintüchern bedeckt und nachts aus dem Hause getragen. Im Tiergarten haben wir sie rausgeholt und auf eine Parkbank gesetzt.“ Und die Chronistin schreibt weiter: „Sie sind nicht froh über die Lösung. Sie haben keine Übung darin, zwischen drei und vier Uhr morgens Leichen aus dem Hause zu schmuggeln und Tote auf einsame Parkbänke zu setzen. Vierzig Jahre lang sind sie solide Bürger gewesen.“ Philip Kahle

Ruth Andreas-Friedrich: „Der Schattenmann“ und „Schauplatz Berlin“. Suhrkamp Tb, jeweils 16,80 DM