„Die Leute opfern die Zukunft“

■ Der argentinische Oppositionelle Frederico Storani über die Inflationsbekämpfung und die folgende Massenarbeitslosigkeit

Frederico Storani ist Abgeordneter der Partei UCR (Unión Civica Radical)

taz: Expräsident Raúl Alfonsin sagte kürzlich, eine kontrollierte Inflation sei immer noch besser als Massenarbeitslosigkeit.

Storani: Das ist zwar verständlich, aber diese Äußerung hat für die Radikalen großen politischen Schaden angerichtet. Die Stabilität des Peso muß beibehalten werden, nachdem die Opfer dafür bereits gebracht wurden, vor allem von denjenigen, die am wenigsten haben. Zwischen 1991 und 1995 wuchs das argentinische Bruttosozialprodukt um 35 Prozent. Die Arbeitslosigkeit hat sich zugleich verdreifachtl, auf jetzt über zwanzig Prozent. Ein soziales Netz gibt es hier dabei nicht. Die Frage muß also vielmehr sein: Wo ist der Reichtum des Wirtschaftswachstums abgeblieben?

Wenn nicht an der Anbindung des Peso an den Dollar gerüttelt werden soll, was muß dann passieren, um die jetzige Wirtschaftskrise zu überwinden?

Die Dollarisierung ist kein Wirtschaftsplan, sondern ein Antiinflationsprogramm. Jetzt, wo die Inflation vorbei ist, weiß Cavallo nicht mehr, was er machen soll. Wenn die Regierung die Wirtschaft nicht wieder ankurbelt, ist es vorbei mit dem Plan. Argentinien war schon mal ein Land, daß stolz auf seine große Mittelschicht, das hohe Bildungsniveau und sein Gesundheitssystem war. Heute ist die Hälfte der argentinischen Bevölkerung nicht krankenversichert. Nur 48 Prozent der Bevölkerung sind in einer Rentenversicherung. Das erste, was die Leute opfern, ist die Zukunft, denn es geht ums tagtägliche Überleben. Cavallo hat durch seine Privatisierungspolitik die Konkurrenzfähigkeit der argentinischen Wirtschaft zerstört. Energie zum Beispiel kostet das Doppelte wie in Brasilien. Unsere Telefongebühren gehören nach der Privatisierung ebenfalls zu den teuersten der Welt. Die Regierung müßte wie in jedem zivilisierten Land rigorose Regeln einführen. Zum Beispiel mäßige Tarife, Verpflichtung zum Investieren, insbesondere in unterentwickelte Regionen, und harte Strafen für die Mißachtung dieses Gesetzeskodex.

Wollen die Radikalen den Peso abwerten?

Nein. Wir setzen auf konjunkturfördernde Maßnahmen. Die große Frage ist nur: Woher kommt das Geld dafür? Es müßten mehr Steuern auf hohe Einkommen und Gewinne erhoben werden. Dafür braucht man allerdings äußerst starkes politisches Durchsetzungsvermögen. Wir setzen dabei auf politische Allianzen, genauso wie der Menemismus. Der Menemismus ist eine Allianz aus konservativen und kapitalintensiven Sektoren der Gesellschaft und der unteren Schicht. Dieser Allianz müssen wir eine andere gegenüberstellen. Interview: Astrid Prange