Dilemma zwischen Schock und Analyse

■ Wie Gedenken? Drei Bücher zum Jahrestag der Auschwitz-Befreiung Von Ulrike Winkelmann

Den 51. Jahrestag der Befreiung des KZ Ausch-witz nimmt die Universität zum Anlaß, um Zeugnis ihrer eigenen Gedächtniskultur abzulegen. Ein „Experiment“ nannte Uni-Pressesprecher Klaus Tornier die Gelegenheit, Forscher und Journaille an einen Tisch zu trommeln. Gestern stellten vier Hamburger Wissenschaftler ihre neuen Publikationen zum Thema Nationalsozialismus vor.

Das Jahr 1995 ist vorbei und mit ihm der größte Gedenk-Marathon der Bundesrepublik. Auch der Medienrummel ist abgeflaut; kaum eine Augenbraue hob sich, als vor einigen Wochen bekannt wurde, daß der 27. Januar als Jahrestag der Befreiung von Auschwitz zum neuen Gedenktag erkoren wurde.

Peter Reichel, Politologie-Professor an der Hamburger Uni, kämpft hingegen weiter darum, den 27. Januar dem Gedenken an die Opfer zu widmen und den 9. November in seiner vollen Skandalträchtigkeit zum Tag des Gedächtnisses zu ernennen. In seinem Buch „Politik mit der Erinnerung“ (Hanser Verlag) untersucht er die Gedächtnisorte der Deutschen: die Daten, Stätten und Denkmäler.

Die Unsicherheiten in der Erinnerung bildeten sich nicht zuletzt semantisch ab, sagte Reichel: Sollte man beim gängigen Begriff „Holocaust“ (wörtlich „Ganzopfer“) bleiben, zum Begriff „Shoa“ übergehen, Hebräisch für Heimsuchung? Es bei der deutschen Vokabel „Massenmord“ bewenden lassen oder besser die Chiffre „Auschwitz“ benutzen?

„Daß Auschwitz nicht noch einmal sei...“ heißt das Buch, das der Pädagogik-Professor Helmut Schreiner und der Historiker Matthias Heyl herausgegeben haben (Krämer Verlag). Mit den Anfangsworten der Radio-Rede Theodor W. Adornos von 1966 zur Erziehung nach Auschwitz betiteln sie die Sammlung von Referaten, die vor genau einem Jahr auf der vielbeachteten Tagung „Das Echo des Holocaust“ in Hamburg gehalten wurden.

Zu lange habe sich die deutsche Wissenschaft mit Betroffenheit aufgehalten, kritisierte Schreiner. Notwendig sei, dem pädagogischen „Dilemma“ zwischen Schock und Analyse, in dem die deutsche Vergangenheitsbewälti-gung stecke, zu Leibe zu rücken. Die wesentlichen Beiträge kämen aus dem Ausland, betonte auch Heyl: „In dieser Hinsicht ist Deutschland ein Entwicklungsland.“

Der Geschichts-Professor Bernd Jürgen Wendt schließlich stellte sein druckfrisches Handbuch zur Geschichte „Deutschland 1933-1945“ (Fackelträger-Verlag) vor, das ab März in den Buchhandlungen ausliegt, jetzt aber schon in den Landeszentralen für politische Bildung zu haben ist. Ein besonderes Anliegen sei ihm gewesen, „zwar analytisch, aber auch beschreibend“ und so weitgehend wie möglich „ohne Fach-Chinesisch“ vorzugehen.

Ausstellung der Bücher (und 250 weiterer Publikationen aus der Hamburger Wissenschaft des Jahres 1995) in der Staatsbibliothek, Von-Melle-Park 3, bis 29. Februar