„Polizisten sind unprofessionell“

■ Martin Herrnkind, 33, vom Bundesvorstand kritischer Polizisten über die Studie

taz: Herr Herrnkind, die Studie „Polizei und Fremde“ liest sich wie das Brevier von Stammtischrassisten. Was sagen Sie dazu?

Martin Herrnkind: Jeder, der meint, es gebe unter Polizisten keinen Rassismus, verdrängt das Problem. Egal wo Sie in Deutschland Dienst tun, überall finden Sie rassistische Kollegen, auch auf dem Land kommen solche Übergriffe vor. Alle wissen es, aber gerade dort, wo jeder jeden kennt, wird am wenigsten darüber geredet.

Ein schwerer Vorwurf...

Nach vielen Gesprächen mit Kollegen würde ich sagen, in Großstädten kommen rassistische Übergriffe täglich vor, auf dem Land sicherlich weniger oft.

Welche Fakten haben Sie?

Zahlen kann ich keine haben, denn eine repräsentative Studie über das Dunkelfeld haben die Innenminister der Länder nicht in Auftrag gegeben, obgleich kriminologisch alle Voraussetzungen für ein ausgesprochenes Dunkelfeld vorliegen. Es ist doch so, wenn zwei Polizisten einen Tatverdächtigen in der Zelle mißhandeln, tendieren die Chancen des Opfers gegen Null. Ich bin mir sicher, die Ergebnisse einer solchen Dunkelfeldstudie hätte verheerende Folgen für die Reputation der Polizei, die subjektiv empfundene Sicherheit der Bevölkerung würde rapide absinken. Ergebnisse, die Politiker am wenigsten gebrauchen können.

Beamte, die etwa im Drogenbereich arbeiten, beklagen den Streß und die Härte des Berufs. Wegen der permanenten Überforderung verliere man die Nerven. Nehmen Sie solche Klagen nicht ernst?

Gestreßte Kollegen tun mir leid. Aber viele Streßfaktoren sind das eine. Wenn aber ein Polizeibeamter auf Lebenszeit sagt, Ausländer würden ihm den Job wegnehmen und 98 Prozent der Polen seien kriminell, steckt da glatter Rassismus und nichts anderes dahinter.

Sie meinen, es bereitet dem Polizisten Freude, Ausländer zu demütigen?

Rassismus scheint nicht das dominante Motiv von Übergriffen zu sein. Nach einer Studie des Wuppertaler Kriminologen Brusten sind die Opfer polizeilicher Übergriffe generell jene, die eine „geringe Bechwerdemacht“ haben, neben Ausländern sind das auch Obdachlose, Prostituierte oder Drogenabhängige. Polizisten haben eine unprofessionelle Berufsauffassung. Wenn sich etwa Kriegsflüchtlinge an Bandenkriminalität beteiligen, verknüpfen sie dies eher mit der ethnischen Herkunft als mit ihrem schwierigen sozialen Hintergrund.

Welches berufliche Selbstbild haben Polizisten?

Die wenigsten sehen sich als moderne Konfliktmanager. Können sie auch nicht, weil sie nicht gelernt haben, mit Rhetorik und handlungsbezogener Psychologie umzugehen. Diese Ebene kommt in der Ausbildung viel zu kurz. Viele Kollegen kennen das Verkehrsrecht, das Strafrecht und sehen sich als Frontkämpfer für Recht und Ordnung, nach dem Prinzip Mann gegen Mann.

Glauben Sie im Ernst, ein psychologisch trainierter Polizist handelt nicht rassistisch?

Solche Ausbildung nützt. Wichtig ist aber auch, daß Polizisten in Streßsituationen psychologisch betreut werden.

Das kostet viel, und der Vorschlag ist auch nicht neu.

Deswegen aber doch nicht falsch. Genauso wichtig ist auch, die Strukturen, in denen Gewalt gedeiht, zu verändern. Den Korpsgeist bekommt man nur in den Griff, wenn Beamte, die das Schweigen brechen wollen, nicht geächtet werden oder gar strafversetzt. Auf Revieren in Problemvierteln dürfen nicht mehr unerfahrene, blutjunge Berufsanfänger eingesetzt werden. Und wir brauchen das Rotationssystem auf solchen Dienststellen. Alle drei Jahre sollte eine Belegschaft ausgetauscht werden.

Und wer garantiert die Kontinuität der polizeilichen Arbeit?

Mir ist es lieber, wir fangen einen Verbrecher weniger und haben dafür eine professionelle Polizei. Wir müssen uns damit abfinden, daß wir Polizisten die Kriminalität nicht verringern können. Interview: Annette Rogalla