■ Lübeck zeigt: Liberales Asylrecht ist nicht einfach zu haben
: Kollektive Mitverantwortung

Nehmen wir einmal an, es waren keine Deutschen. Und erst recht keine Glatzen. Das mag uns alle erleichtern. Manifeste Ausländerfeindlichkeit äußert sich in Gewalt, in blöden Glatzen und biertrunkenen Parolen. Molotowcocktails, die von außen durch die Scheiben fliegen, sind zweifellos Ausdruck rechter Gesinnung. Doch die Zustände in vielen Asylbewerberheimen, in Heimen für Obdachlose sind dies nicht minder. Die flotte Erleichterung über Täter aus den Reihen der Bewohner täuscht über die kollektive Mitverantwortung hinweg, die es sich leistet, Mitglieder unterschiedlicher Kulturen und Religionen auf engstem Raum zusammenzupferchen.

Humane Asylgesetzgebung ist mehr als bloß die Bereitstellung von ein paar Quadratmetern Wohnraum und einem Schwung Gutscheine: Jene, die da kommen, sind keine einfachen Menschen, sie benötigen häufig umfassende Hilfe, sind oft traumatisiert und nicht zuletzt darum selbst anfällig für Gewalt, Unrecht, Ressentiments und Irrationalität. Damit wäre auch die naive Idealisierung von Ausländern dahin. Eine wirklich vorurteilsfreie Haltung rechnet auch mit Gewalt und Kriminalität unter Heimbewohnern.

Ein liberales, ein menschliches Asylrecht ist darum nicht einfach zu haben. Es braucht Sozialarbeiter vor Ort und behutsame Annäherung an schwierige Menschen, die oft zunächst entlastet, nicht selten aber psychisch krank oder einfach kriminell sind. Asylbewerber können keine pflegeleichten künftigen Mitbürger sein. Dies ist nicht unbedingt ihre Schuld. Eher ihr Schicksal. Und das unsere – jedenfalls solange wir uns überhaupt noch ein Asylrecht vor unserem Gewissen leisten. Wer dies übersehen will, mag trefflich Kerzen aufstellen am Tage danach und von Betroffenheit reden. Besser wäre es, Bedingungen zu schaffen, die den schwierigen Umständen eines Rechts auf Asyl Rechnung zu tragen versuchen. Und das ist mehr als bloßer Schutz vor rechter Gewalt. Es wäre die Aufgabe struktureller Fremdenfeindlichkeit.

So gesehen entlasten uns rechte Brandstifter von jenen schmerzlichen Fragen, die wir uns nun zu stellen haben: Hätte man nicht die Umstände der Unterbringung genauer prüfen und Konflikte betreuen müssen? Solche Fragen gehen über Lübeck hinaus. Sie sind bundesdeutscher Alltag im kantigen Umgang mit Asylbewerbern und Ausländern, mit sozial Schwachen und Hilfesuchenden. Täter ist, wer Feuer legt. Brandstifter eventuell auch, wer es versäumt, rechtzeitig Feuermelder zu installieren. Micha Hilgers

Psychoanalytiker aus Aachen