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„Und außerdem linksradikaler“

Aus den Clubs an den Kiosk: „Frontpage“, das größte deutsche Technomagazin, geht in die Offensive. Macher und „Techno-Tycoon“ Jürgen Laarmann verspricht Geschichten für „die Generation, die alles will“  ■ Von Oliver Gehrs

Einen Raver stellt man sich anders vor. Nicht so dick. Doch trotz seiner Leibesfülle ist Frontpage- Chef Jürgen Laarmann ungemein quirlig, rennt durch Gänge, ruft knappe Sätze in die Redaktionsbüros und gibt nebenbei ein Interview nach dem anderen. Da merkt man gleich, daß bei Frontpage eine neue Ära anbricht. Von heute an ist das ehemals kostenlose Technomagazin an jedem Kiosk für fünf Mark erhältlich. Den Vertrieb der zunächst 200.000 Exemplare übernimmt der Hamburger Verlag Gruner + Jahr.

Eine steile Karriere für eine Zeitschrift, die im Mai 1989 als Fanzine für elektronische Musik vom Technoclub Frankfurt zum ersten Mal erschien: acht DIN- A5-Seiten in einer Auflage von 5.000 Exemplaren. Zwei Jahre später zog Frontpage nach Berlin und spezialisierte sich auf Techno- House. Gemeinsam mit dem Platten-Label Low Spirit organisierte Laarmann die Love Parade und den ersten Mayday Rave, zu dem im Dezember 1991 6.000 Raver in die „Halle“ im Stadtteil Weißensee pilgerten. Nachdem der Technoclub Frankfurt das Magazin nicht mehr herausgeben wollte, machte der abgebrochene Wirtschaftsstudent allein weiter: Frontpage – Die Next Generation. Mit seinem Gespür für den kommenden Erfolg von Techno gelang es ihm, das Magazin zum Sprachrohr der Bewegung zu machen: „Juli 91: Frontpage erklärt Technohouse zur Jugendbewegung der 90er Jahre“, steht in der selbstverfaßten Vita. Frontpage schreibt nicht, sondern proklamiert.

Während die Jugendzeitschriften großer Verlage ständig Leser verlieren, denkt Laarmann schon an ein neues Modemagazin und den Sprung ins Fernsehen: „Frontpage-TV“. Wenn der „Techno-Tycoon“ (Die Woche) im ledernen Cockpit-Sessel thronend Journalisten empfängt, holt er erst mal zum Rundumschlag aus: „Amica, Max? Alles Schreißdreck“. Und was ist Frontpage? „Eine Mischung aus Titanic, Bunte und Spiegel der Technoszene, und solange wir kostenlos waren, haben wir uns einen Dreck darum gekümmert, was wir schreiben“, sagt Laarmann, als wäre ihm das, was er sagt, mindestens ebenso egal. „In Zukunft wollen wir journalistischer und linksradikaler werden. Ein bißchen wie die taz.“

Im Augenblick erinnert zumindest der Kleinanzeigenteil eher an Bravo. Dort suchen „Ravemäuse“ „süße Raveboys“ zum „gemeinsamen abraven“ und Bodo aus Darmstadt einfach nur eine „neue Posse zum gemeinsamen Chill- Out“. Probleme, die Vielschreiber Laarmann fremd sind. Seine Editorials sind der pure Blick nach vorn – dahin, wo das Wochenende ist. Dabei ist die nächste Party immer die kickendste, wildeste und energischste. Das Motto heißt: „Forward ever, backward never“ und Frontpage ist das Mittel, den Rave-Trip über das rauschhafte Wochenende hinaus zu verlängern. Wenn die Party vorbei ist und sich aufgrund von zuviel Ecstacy, zuviel Alltag, zuviel Arbeit oder auch zuviel Arbeitslosigkeit die große Leere einstellt.

Frontpage ist die publizistische Umwälzpumpe von Techno, die in immer neuen Genres die Spaßbotschaft verbreitet: Party Reviews, DJ- und Fun-Charts, Rave Views und seitenweise Vorschauen auf die nächste Party-Generation. Denn „Generation“ ist irgendwie alles bei Frontpage. Ein universell einsetzbares Wort, um jederzeit ein Wir-Gefühl generieren zu können. „Dies ist eine Geschichte für diejenigen, die sich zur Generation zählen, die alles will“, schreibt Laarmann in der heute erscheinenden Ausgabe über den Modedesigner Frank Schütte – nachdem er schon vor Jahren die „ravende Gesellschaft“ ausgerufen hatte.

Die Philosophie vom Rave-Planet ist in Frontpage in den „City Reports“ Rubrik geworden, der Bericht über die Techno-Fete auf einem Grillplatz bei Aschaffenburg findet sich gleich neben den News von der Nachtleben-Front in Detroit. Den größten Teil im Heft nehmen aber die Plattenkritiken ein. En gros wird der Stapel aus Gabber, Trance, Jungle oder Hardcore abrezensiert, und wer die Kleinbuchstaben entziffert, entdeckt „gephaste Melodien“ und „clonkige Warps“, die sich zu „Killertracks“ vereinen.

Als „Techno Today“ ist Frontpage auch im Internet (mit 100.000 Zugriffen pro Woche) – schließlich ist schon das Decodieren der gedruckten Ausgabe ein Vorgeschmack auf die digitale Zukunft: Im Layout von Art-director Alexander Branczyk wuchern Fotos, Buchstaben und psychedelische Spiralen zu einem wüsten Patchwork-Stil, in dem die computergenerierte Techno-Musik ihre grafische Entsprechung findet. Nur wer durch Amiga und Apple, Zapping und Game Boy hinreichend visuell sozialisiert wurde, kann so viel auf einmal wahrnehmen.

Weil das aber mittlerweile für den größten Teil der unter 25jährigen zutrifft, wird Laarmanns Magazin mehr und mehr zum Mainstream-Medium. Früher orientierte sich Frontpage am Design englischer Trend- und Modemagazine wie iD und The Face. Doch während die Vorzeigezeitschriften der Achtziger immer noch mit grafischen Innovationen aufwarten, hängt Frontpage der Entwicklung mittlerweile hinterher. „Techno ist schließlich auch immer noch dasselbe“, sagt Branczyk, der das Layout – einer Bedieneroberfläche beim Computer gleich – einmal im Jahr updated. Der visual leader ist Frontpage nur noch für bürgerliche Medien wie die Süddeutsche Zeitung, die das Techno-Layout für ihre Jugendbeilage jetzt mehr oder weniger kopierte.

Der Umzug von den Clubs an den Kiosk ist lange vorbereitet. Schon vor zwei Jahren fragte Laarmann seine Leser. „Würdest Du Frontpage lesen, wenn es nur im Handel erhältlich wäre?“, und über zwei Drittel sagten ja. In derselben Befragung bekannten sich 30 Prozent der Leser dazu, mehr als die Hälfte ihres Geldes für Ausgehen und Platten auszugeben. Auf fünf Milliarden Mark schätzen Forschungsinstitute das Vermögen von sechs Millionen Technobegeisterten – alle „jung, agil und konsumfreudig“. Kein Wunder, daß in den großen Verlagen teure Projektredaktionen an Titeln feilen, um auf diesem Markt zu reüssieren. Der Hamburger Verlag Gruner + Jahr, der spätestens seit dem Tango-Flop mit Imageproblemen kämpft und seit Jahrzehnten von einer Jugendzeitschrift träumt, wollte sich gar mit einer Mehrheit an Frontpage beteiligen. Doch angesichts der vielen Rechtschreibfehler und wirren Geschichten „standen den gestandenen Journalisten die Haare zu Berge“, wie sich Laarmann noch heute amüsiert. „Denen war die Sache dann doch zu heiß.“

Nun macht er halt allein weiter. Frontpage bleibt unabhängig, und Laarmann, der schon auf seinen eigenen Geburtstagsparties Eintritt genommen haben soll, überläßt auch in Zukunft nichts dem Zufall. Mit ständigen Fragebogenaktionen hält er sich auf dem laufenden darüber, wer seine Leser sind, was sie gern lesen und vor allem, wofür sie ihr Geld ausgeben. Mit einer Rave- Kartei von 70.000 Adressen ist Laarmann in der Werbebranche der Ansprechpartner, wenn es gilt, Zigaretten und Alkohol unter die Raver zu bringen. Probleme mit

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dem journalistischen Ethos hat er keine, schließlich macht er eine Zeitschrift für Leser, denen es schon lange nichts mehr ausmacht, daß auf der Love Parade ein Wagen von Langnese mitfährt. Der Anwesenheit von Sponsoren wird mit dem Bewußtsein begegnet, das Geld ließe sich im Sinne der „Raving Society“ gemeinnützig anlegen (siehe auch taz vom 10. 3. 95). Und man wird ja auch umworben: Längst schätzt der Tabakkonzern Reynolds die Frontpage-Crew als Trendscouts in einem Segment, das seine eigenen Marketingstrategien nicht mehr durchschaut: Monatlich erscheinen die „Camel Silverpages“, ein Veranstaltungskalender, und zum Camel Air Rave fliegen Hunderte Techno-VIPs nach Las Vegas.

„Vier Millionen Mark Umsatz haben wir letztes Jahr gemacht“, sagt Laarmann. „Übriggeblieben ist gerade so viel, daß 20 Leute ihren Lebensunterhalt bestreiten können“. Den größten Teil des Geldes verdiente Laarmanns Technomedia GmbH mit Anzeigen in Frontpage, bei denen der Streuverlust für Musiksender wie MTV und Plattenfirmen ähnlich gering ist, als wenn man in der Bäckerblume für Mehl wirbt.

Doch auch jenseits der engeren Zirkel ist Frontpage imagebildend. Spektakel wie die Love Parade haben nicht unwesentlich dazu beigetragen, das Bild von Berlin als Depri- und Pleitetown ins Positive zu bessern – eine kostenlose Werbung, für die die Berliner Kulturpolitik eigentlich dankbar sein müßte: Wenigstens für die Rave Nation ist der Titel „Hauptstadt“ jetzt schon gerechtfertigt. Mit allen Konsequenzen fürs Umland. Denn eigentlich ist Frontpage auch ein Provinzmedium – der Transmissionsriemen zwischen Techno- Land und Techno-Stadt. Dort, wo keine Rave-Infrastruktur existiert, fungiert das Magazin als eine Art Quelle-Katalog: Frontpage verrät, welche T-Shirts in und welche Parties ein Muß sind. Das stete Gefühl, nicht mit Berlin mithalten zu können, hat in der Diaspora zu einem extremen Marken- und Trendbewußtsein geführt, dessen Sender Frontpage heißt. So sehen die Gäste des E-Werks im Vergleich zu den Besuchern ostwestfälischer Technodiskotheken fast ungestylt aus. Die Berliner Szene sieht in Frontpage eher eine Gebrauchsanleitung für den Weekender-Lifestyle der Technotouristen als ihr eigenes Kult-Medium. „Die Leute auf dem Land haben nicht viel zu tun. Das ist für Frontpage ein Riesen-Potential, das wir über den neuen Vertrieb besser ausschöpfen können“, ist auch Laarmann überzeugt.

Grund genug für den nächsten epochalen Rave: Die deutsche Techno- und House-Szene feiert die Kioskeinführung im Berliner Arena, wo Deutschlands erster „Clubspace“ entsteht. Eine Party- Landschaft aus alten Bussen, Reifenschläuchen, Molton und Pflanzen. „Damit setzen wir einen völlig neuen Maßstab in der Rave-History“, sagt Laarmann und schnellt aus seinem Sessel hoch. „Das gibt einen ziemlich energischen Drive nach vorn.“

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