Baltische Juden: „Wir sind keine Bettler“

■ Jüdische Ghetto- und KZ-Opfer gegen deutsche Almosen von 40 Mark im Monat

Berlin (taz) – Mit den toten Opfern des Nationalsozialismus hat die Bundesregierung keine Schwierigkeiten. Morgen, am neu eingeführten nationalen Gedenktag, wird ihrer überall gedacht werden. Die lebendigen Opfer hingegen möchte man liebsten mit Pfennigbeträgen ruhigstellen, zumal, wenn sie in Lettland, Litauen oder Estland leben. Das beweist das inzwischen seit Jahren andauernde, peinliche Tauziehen um individuelle Entschädigungszahlungen für den Rest der Geretteten im Baltikum, gerade mal 314 Menschen.

Einer dieser wenigen, heute noch lebenden Leidtragenden meldete sich gestern bei einer Pressekonferenz der Grünen in Bonn zu Wort. Alexander Bergmann (71), Vorsitzender des „Vereines der ehemaligen jüdischen Ghetto- und KZ-Häftlinge in Lettland“. Er reagierte damit auf ein in Aussicht (!) stehendes Angebot der Bundesregierung von 150.000 Mark humanitärer Hilfe für die Jahre 1996 und 1997 und für alle jüdischen Überlebenden in den drei baltischen Staaten zusammen. Das wären etwa 40 Mark pro Monat für jeden. Mit dem Satz „besser nichts als so wenig“, schlug er das Sonderangebot aus. Gerecht wäre eine monatliche Rente von 500 Mark, sagte er, eine Summe, die die in die USA oder nach Israel ausgewanderten Juden nach dem in der vergangene Woche ratifizierten Abkommen auch erhalten werden. Die Haltung seines Verbandes legte Bergmann auch in einem Schreiben an Bundespräsident Roman Herzog und Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth nieder. Darin heißt es: „Wir sind zu einem vernünftigen, aber würdevollen Kompromiß bereit, doch die deutsche Regierung behandelt uns als Bettler, denen gegenüber man weder moralische noch rechtliche Verpflichtungen hat.“ Der Brief endet mit den bitteren Worten: „Bis zuletzt erkannten wir nicht das Ausmaß unserer Niederlage und Erniedrigung.“ Anita Kugler