Freier Kassenkampf

■ Seit dem ersten Januar können sich die Versicherten ihre Kasse aussuchen. Kurse zur Gesundheitsförderung sind die Nummer eins im Konkurrenzkampf der Kassen

Sie sind eine Frau und wollten den Kerlen schon immer mal zeigen, daß Sie ebenso gut mit dem Schraubenschlüssel an der Radmutter Ihres Autos werkeln können? Wie wär's mit einem Pannenkurs für Frauen. Hapert es an der Optik bringt‘s vielleicht ein „My- Weight“-Kurs im Fitneßstudio? Das Schöne daran: Solche Schmankerl übernehmen jetzt auch Krankenkassen. Manche zumindest. Auf derlei Kuriositäten stieß jüngst das Bundesversicherungsamt, das die Aktivitäten der Kassen überprüft.

Seit dem ersten Januar gibt es die freie Kassenwahl: Mit der Zwangszuweisung der Versicherten – seit 100 Jahren Usus – ist jetzt Schluß. Die Neuregelung im Krankenversicherungsgesetz, stellt Arbeiter und Angestellte in der gesetzlichen Krankenversicherung erstmals gleich. Nun können sich alle Versicherten ihre Krankenkasse selbst aussuchen. Mit Ausnahme der Betriebs- und Innungskrankenkassen müssen die gesetzlichen Versicherer jeden aufnehmen, der beitreten will. Zunächst können allerdings nur freiwillig Versicherte, Arbeitsplatzwechsler und Berufsanfänger ihre Kasse wechseln. Die Masse der Pflichtversicherten darf erst Ende September 1996 seiner alten Kasse kündigen.

Nun herrscht Konkurrenz zwischen den gesetzlichen Krankenkassen. Ungefähr 90 Prozent der Bevölkerung sind Mitglieder in gesetzlichen Krankenkassen. Das Defizit dieser Kassen lag 1995 bei etwa zehn Milliarden Mark. Ob die neue Wahlfreiheit den geschröpften Krankenkassen den erhofften unternehmerischen Kick geben wird, ist fraglich. Denn ihr Handlungsspielraum bleibt klein: Nach wie vor ist ihr Leistungskatalog gesetzlich vorgeschrieben. Einen Wettbewerb wird es zunächst kaum geben. Unterschiede bestehen vor allem in der Höhe der Beitragssätze und bei den freiwilligen Leistungen.

Die AOK kostet zur Zeit 14,5 Prozent des Einkommens, die Techniker dagegen nur 12,8. „Wenn alle Kassen gezwungen sind, jeden Versicherten aufzunehmen“, schätzt Charlotte Huhn von der Verbraucherzentrale (Vbz) Hamburg, „werden sich langfristig die Unterschiede in den Beiträgen nivellieren.“ Die Klientel vieler Kassen wird sich erheblich verändern. Kurzfristig allerdings ist mit einem Kassenwechsel durchaus Geld zu sparen. Kostet der Beitrag nur 0,5 Prozent weniger, macht das je nach Einkommen bis zu 300 Mark im Jahr aus.

Was bleibt im Kampf um die Gunst der Mitglieder, sind vor allem die freiwilligen Leistungen im Bereich Gesundheitsförderung. Präventionsmaßnahmen müssen die Kassen anbieten. Zwar haben alle gesetzlichen Krankenkassen daher ein Standardprogramm, von Ernährungsberatung bis Rückenschulung. Doch mit lukrativen Zusatzangeboten buhlen die Kassen um die Gunst der Verbraucher. Kommerziell dürfen sie nämlich nicht werben.

Etwa 680 Millionen Mark flossen schon 1994 in den Sektor Gesundheitsförderung. Mal gibt es nur Atemübungen, mal auch Tai Chi und Autogenes Training. Kurse à la „Wie bewerbe ich mich richtig“, Babysitterseminare, wie sie die AOK in Halle bezuschußt oder Kurse zum festlichen Vollwertgebäck der AOK im Hochtaunuskreis – ist das Gesundheitsförderung? Kaum. Kassen, die wirklich eine sinnvolle Gesundheitsförderung machen, sind selten, konstatiert eine Studie des Instituts Epidemiologische Forschung Berlin. Ohnehin nehmen nur etwa sieben Prozent der Versicherten an solchen Kursen teil.

Das zuweilen wundersame Kursangebot stößt auch bei den Kassen auf Kritik. „Allgemeine Kochkurse oder Bauchtanz sind die skurrilen Blüten eines Wettbewerbs unter unzureichenden Rahmenbedingungen.“ schreibt der Verband der Angestelltenkrankenkassen (VdAK) in einer Stellungnahme. Diese Angebote zeigten das Dilemma der gegenwärtigen Situation. „Wir wollen eine Struktur, die mehr Wettbewerb zuläßt, schon um wirtschaftlichere Versorgungsformen entwickeln zu können“, sagt Helga Kuhn vom VdAk in Siegburg, „wir fordern mehr Spielräume.“

Werden die Kassen Ende 1996 gezielt gesunde, zahlungskräftige Mitglieder werben? Droht dann eine Risikoselektion? Das weisen die meisten Kassen von sich. Denn noch bittet der Risikostrukturausgleich von 1994 finanzkräftige Kassen zu Ausgleichszahlungen. Wie lange diese Regelung fortbesteht, ist unklar. „Den Risikostrukturausgleich gibt es sicher nicht auf Dauer“, schätzt Viola Matzke von der Barmer, mit neun Millionen die größte Ersatzkasse. In diesem Fall würde der Kampf um zahlungskräftige, gesunde Mitglieder wichtig. Bereits jetzt erstatten manche Kassen den Versicherten einen Teil des Jahresbeitrags zurück oder schreiben ihn gut, wenn sie ein Jahr lang nicht zum Arzt gehen. „Auch die exotisch anmutenden Kurse von Yoga bis Qi Gong sprechen in erster Linie eine gutsituierte Mittelschicht an“, sagt Huhn von der Vbz Hamburg.

Wird in Zukunft ein breites, werbewirksames Freizeitgebot einer kostenintensiven, langfristigen Gesundheitsförderung den Rang ablaufen? „Noch ist nicht abzusehen, wohin die Entwicklung geht“, sagt Huhn, „Es gab schon Gerüchte von Mitarbeiterschulungen, um alte, kranke Menschen diskret abzuwimmeln. Wir haben da in jedem Falle ein Auge drauf.“ Anja Dilk