Staatstrauer auf dem heiligen Berg

Es regnet in Strömen, also ist alles gut: Ganz traditionell verabschieden sich hoch in den schlammigroten Bergen von Lesotho Zehntausende von Menschen von ihrem verstorbenen König  ■ Aus Lesotho Kordula Doerfler

Die Ahnen sind gnädig gestimmt. Seit Mittwoch regnet es fast ohne Unterbrechung. Es regnet, seit der König nach Hause geflogen worden ist. Ein spezialisiertes Unternehmen hat ihn im südafrikanischen Bloemfontein schön gemacht für die Beerdigung, ihn einbalsamiert, die sichtbaren Folgen des schweren Autounfalls weitgehend beseitigt. Jetzt liegt der König aufgebahrt im Palast von Maseru, der Haupstadt Lesothos. Der Sarg steht auf einem fahrbaren Gestell gleich am Eingang eines viereckigen Saals. Der Saal reicht über zwei Stockwerke, ist mit dunklem Holz getäfelt und schweren roten Teppichen ausgelegt. Oben auf der Balustrade erklingen leise Choräle.

Das Gesicht von König Moshoeshoe II ist wächsern, aber entspannt. Er ist in schwarz gekleidet, die gefalteten Hände halten ein kleines Bukett aus orangefarbenen Rosen. Prominenz defiliert vorbei, Mitglieder der Königsfamilie von Lesotho, Minister und hohe Verwaltungsbeamte, Militärs und Diplomaten. Das Volk muß warten. Es steht in einer Schlange, die schon am frühen Morgen aus dem Palast hinausreicht und im Laufe des Vormittags auf mehrere Kilometer Länge anwächst. Draußen wird geplaudert, Tränen sind kaum zu sehen. Drinnen ist die Atmosphäre gedämpft, werden teils scheue, teils neugierige Blicke auf den Leichnam geworfen. Viele bekreuzigen sich.

Zweimal wurde der König ins Exil gejagt

Lesotho nimmt Abschied von seinem König, der am 15. Januar in einem Autounfall ums Leben kam. Seitdem herrscht Staatstrauer. Moshoeshoe II war zu Lebzeiten umstritten. Mit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1966 wurde er inthronisiert und war seither einerseits Spielball der Politiker, andererseits löste er selber immer wieder politische Krisen aus, weil er mehr Macht wollte. Zweimal wurde er ins Exil gejagt. Im August 1994 löste der Versuch seines ältesten Sohnes Letsie III, ihn mit Hilfe der Militärs wieder an die Macht zu bringen, eine Krise aus, die erst durch die politische Intervention von Südafrika, Botswana und Zimbabwe beigelegt werden konnte. Moshoeshoe II wurde wieder König – für gerade mal ein Jahr. Dann stürzte sein Wagen auf dem Weg von einem seiner Dörfer hoch oben in den Bergen von Lesotho in die Hauptstadt Maseru in die Tiefe.

Über Tote redet man auch in Afrika nichts Böses. Die Untertanen von Lesotho haben am diesem Donnerstag, einen Tag vor dem Staatsbegräbnis, nur Gutes über Moshoeshoe zu sagen. In der Schlange stehen mehr Frauen als Männer: Trauern ist Sache der Frauen. Viele sind von weither gekommen, aus abgelegenen Bergdörfern, und sind in traditionelle Gewänder gehüllt. Aber auch ganz junge Frauen und Männer, modern und westlich gekleidet, warten geduldig. „Ich habe im Radio gehört, daß der König tot ist“, sagt Mamookho Mofoka, die sich auf den Stufen eines Geschäfts ausruht. „Aber ich habe es nicht geglaubt. Ich bin hierhergekommen, um zu sehen, ob es wirklich stimmt.“ Neben der alten Frau sitzt Matseliso Mahase. Er sei doch noch jung gewesen, erst 57, meint die fast 80jährige. „Außerdem, ist das alles richtig so? Jetzt ist er gerade erst gestorben und wird schon beerdigt. Und woran ist er überhaupt gestorben?“

Darüber wird viel gerätselt in der Schlange. Die offizielle Erklärung gibt der Leibarzt des Königs erst einen Tag später während der Trauerfeier am heiligen Berg Thaba-Bosio, 30 Kilometer außerhalb von Maseru: Durch den Unfall erlitt der König eine schwere Kopfverletzung, die vermutlich zu sofortiger Bewußtlosigkeit und schweren inneren Blutungen führte.

Es gibt auch andere Erklärungen: Moshoeshoe liebte wie alle Basotho das Reiten, und eine Woche vor seinem Tod, so erzählt Borane Lestie, starb eines seiner Lieblingspferde. Unter seiner Decke zieht der alte Mann Fotos hervor und zeigt auf das Pferd – ein Schimmel, der ihm gehörte. Immer wenn Moshoeshoe in Borane Letsies Dorf kam, ritt er auf diesem Pferd aus. „Erst hatten wir keine Erklärung dafür, aber dann starb der König, noch ehe wir das Fleisch des toten Pferdes gegessen hatten. Der König war so traurig über dessen Tod, daß er auch sterben wollte. Er wollte vermutlich da sein, wo auch das Pferd ist.“ Jetzt trauert der alte Mann nicht mehr: Es ist klar, daß das Pferd für den König sterben mußte.

Ob der selbst an solch metaphysische Erklärung geglaubt hätte? „Er war ein westlicher Intellektueller, der seine Erziehung hauptsächlich in Oxford bekommen hatte. Andererseits nahm er seine Aufgabe sehr ernst und wollte wirklich König sein“, sagt einer, der es wissen muß. Vier Jahre lang, von 1986 bis 1990, war Tlohang Sekhamane einer der vier Privatsekretäre des Königs. Heute ist der knapp 40jährige Projektmanager beim UN-Kinderhilfswerk „Unicef“ in Maseru. Die Aufmerksamkeit des Königs zog er auf sich, als er als Direktor einer abgelegenen Schule in den Bergen eine Diskussion mit Moshoeshoe über die grundsätzliche Bedeutung von Schulbildung anfing. „Moshoeshoe war solchen Ideen gegenüber sehr aufgeschlossen. Nur so, davon war er überzeugt, kann in Lesotho Entwicklung stattfinden.“

Lesotho, von allen Seiten von Südafrika umgeben, zählt auch heute noch zu den unterentwickeltsten Ländern der Welt. 40 Prozent seines Bruttosozialprodukts kommen aus Einkünften von Wanderarbeitern, die in Südafrikas Bergwerken arbeiten. Zur Apartheid-Zeit wurde ein Abkommen zwischen den beiden Regierungen geschlossen, wonach die Arbeiter 60 Prozent ihres Lohnes sofort an die Regierung von Lesotho abführen müssen, die daraus ihren Haushalt finanziert. Erst zu Jahresende, wenn die Arbeiter nach Hause kommen, erhalten sie ihr Geld zurück. Moshoeshoe war nicht nur der Einflußnahme seitens Südafrika ausgesetzt. Auch nach innen lavierte er. „Es war immer ein Konflikt“, sagt Tlohang Sekhamane. „Der König war ein harter Arbeiter. Morgens um fünf und abends um elf traf man ihn an seinem Schreibtisch an – und andererseits sollte er ein König sein, der nur herumsitzt und repräsentiert.“

Afrikanischer König, westlicher Staatschef

Moshoeshoe wollte Monarch sein und zugleich ein westliches Staatsoberhaupt, er wollte Demokratie und zögerte zugleich nicht, sie aus den Angeln zu heben, wenn die Politiker nicht spurten. „Die Politiker ihrerseits benutzten ihn und versprachen ihm mehr Macht. Wenn er sie wirklich haben wollte, jagten sie ihn ins Exil.“ Aufbrausend sei er gewesen – und einsam.

Das ist vielleicht die einzige Eigenschaft, die ihn mit seinem Nachfolger verbindet. Eine Woche vor dem Begräbnis wurde der 32jährige Kronprinz Bohato von der Versammlung der traditionellen Häuptlinge zum König bestimmt. Seine Krönung als König Letsie III darf jedoch frühestens nach einer einmonatigen Trauerzeit stattfinden. Jetzt steht der Prinz im strömenden Regen zu Füßen des heiligen Berges Thaba-Bosio, wo an diesem Freitag das Staatsbegräbnis für Moshoeshoe stattfindet, und nimmt die Trauergäste in Empfang. Er hat nichts von den asketischen Zügen seines Vaters, ist groß und etwas dicklich. Im Volk gilt er als nicht besonders intelligent, aber das traut sich in diesen Tagen niemand laut zu sagen. Dumm sei er nicht, glaubt der frühere Privatsekretär seines Vaters, der mit dem Prinzen zusammen in Cambridge studierte. „Er will eigentlich nicht König werden, kann das aber nicht sagen.“ Einen Vorteil hätte das ja, deutet Tlohang Sekhamane an: Letsie III. wird ein schwacher König. Der Streit der vergangenen Jahrzehnte um die Monarchie werde sich damit von selbst erledigen.

Tatsächlich wirkt der Kronprinz während des Staatsaktes unsicher und unbeholfen. Unter seiner Decke trägt er schicke westliche Kleidung, die feinen Lederschuhe sind für das Wetter vollkommen ungeeignet. Der rötliche Boden hat sich in ein Meer von Schlamm verwandelt, durch das die Trauergäste staksen müssen.

Der Sarg, eskortiert von Militär und einem Reiterregiment, trifft mit stundenlanger Verspätung ein, denn die Straßen stehen teilweise unter Wasser. Während das Volk geduldig im Regen ausharrt, sammelt sich die Prominenz auf einer überdachten Tribüne: die königlichen Familien von Lesotho und Szwaziland, die Bischöfe von Lesotho, Diplomaten und die Präsidenten von Zimbabwe, Botswana und Sambia. Star ist wie überall im südlichen Afrika Südafrikas Präsident Nelson Mandela. Wie immer treibt er dem Protokoll den Angstschweiß auf die Stirn, weil er sich zuerst unters Volk mischt, anstatt seinen Platz einzunehmen.

Während im Tal eine katholische Messe zelebriert wird und gemäß guter afrikanischer Tradition endlose Trauerreden gehalten werden, machen sich Tausende von Menschen trotz des strömenden Regens an die Besteigung des heiligen Berges. Alle Wege nach oben sind steil und glitschig, und es wird unmöglich sein, den Sarg des Königs wie geplant hochzutragen.

Der Berg Thaba-Bosio ist für die Basotho ein Nationalheiligtum. Dort sammelte Moshoeshoe I in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine Völker und vereinte sie zu einer Nation. Dort begründete er die Basotho-Monarchie, und von dort aus trotzte er Buren und Engländern. Der Berg ist oben ganz flach. Der Blick ist auch an diesem verregneten Tag atemberaubend schön. Weit hinten auf dem Plateau liegen die Gräber der königlichen Familie: Ein paar Steinhaufen, zum Teil mit kleinen Grabsteinen versehen.

Am späten Nachmittag findet die eigentliche Beerdigung Moshoeshoes statt, der ganz untraditionell in einem Hubschrauber nach oben geflogen wird. Auch der Königsfamilie bleibt der beschwerliche Aufstieg erspart.

In strömendem Regen wird der Sarg versenkt. Ein für das Protokoll zuständiges Mitglied des Hofstaates ist fast glücklich. „Es ist ein gutes Zeichen, wenn es regnet, wenn jemand gestorben wird. Und noch besser ist es, wenn es auch bei der Beerdigung regnet. Ich weiß nicht genau, ob für Gott oder für die Ahnen.“ Nach einer kurzen Pause hat er sich entschieden: „Für die Ahnen.“