In Afrika ist jede Reise ein Risiko, die jüngste Serie von Flugzeugabstürzen belegt das. Doch die Krise des Lufttransports ist nicht nur mangelnder Wartung oder menschlichem Versagen geschuldet - sie ist Teil der Krise afrikanischer Politik

In Afrika ist jede Reise ein Risiko, die jüngste Serie von Flugzeugabstürzen belegt das. Doch die Krise des Lufttransports ist nicht nur mangelnder Wartung oder menschlichem Versagen geschuldet – sie ist Teil der Krise afrikanischer Politik.

Afrikas fliegende Särge

Wer heute in Sambia eine Reise tut, der muß sich etwas einfallen lassen. Die staatliche Busgesellschaft UBZ, die den Großteil des öffentlichen Fernverkehrs in dem afrikanischen Land abwickelt, ist Anfang des Jahres pleite gegangen. Die staatliche Fluglinie „Zambia Air“ ereilte dieses Schicksal einen Monat früher. Und die sambische Eisenbahn stellte ihre Tüchtigkeit erst Mitte Januar unter Beweis, als zwei Züge unweit der Hauptstadt frontal zusammenstießen – Bilanz: über 40 Tote.

Doch reiselustige Sambier können sich glücklich schätzen, daß sie nicht im nördlichen Nachbarland Zaire leben. Dort sind die meisten der aus der Kolonialzeit geerbten Straßen und Eisenbahnlinien vom Busch zurückerobert worden. Es gibt zwar Leute, die brechen mit einem Geländewagen in der südlichen Metropole Lubumbashi auf und kommen drei Monate später in der 1.500 Kilometer entfernten Hauptstadt Kinshasa an. Andererseits läßt sich diese Entfernung in der Zeit auch zu Fuß zurücklegen.

Wer es eilig hat, muß in eine der unzähligen Privatmaschinen steigen, die heute zwischen Zaires Städten im Linienverkehr fliegen, frei von allen technischen Mindeststandards. „Es gibt welche, die ganz gut sind“, urteilt vorsichtig ein Vielflieger über Zaires schillernde Fluganbieter. Und es gibt andere, zum Beispiel die „Scibe Air“, deren russisches Flugzeug am 8. Januar von der Startbahn des Flughafens Kinshasa direkt in einen angrenzenden Markt rollte und nach inoffiziellen Schätzungen 600 Menschen umbrachte.

Längst hat sich im afrikanischen Fernverkehr ein Zweiklassensystem etabliert, in dem die Benutzung der wenigen sicheren und schnellen Transportmittel Ausländern und der an die internationalen Kapitalflüsse angeschlossenen einheimischen Elite vorbehalten ist. Der große Rest muß mit jeder längeren Reise ein schwer einzuschätzendes Risiko auf sich nehmen. Die Liste der jüngsten Flugzeugabstürze in Afrika ist beeindruckend: Neun Tote am 13. November 1995 in Nigeria; 72 Tote am 8. Dezember in Kamerun; 141 Tote am 18. Dezember in Angola; bis zu 600 Toten am 8. Januar 1996 in Zaire, und in Nigeria wieder 14 Tote am 17. Januar. Zwei Tage später geriet über Malawi ein südafrikanisches Flugzeug in schwere Turbulenzen, mußte umkehren und notlanden. Und am vergangenen Freitag geriet ein aus Simbabwe kommendes Kleinflugzeug mit fünf deutschen Entwicklungshelfern an Bord über Sambia in einen Regensturm und stürzte ab – kein Insasse überlebte.

Andere Verkehrsmittel sind kaum sicherer. Vor wenigen Wochen starben über 70 Menschen in Zaires Hauptstadt Kinshasa, als ihr Bus von der Straße abkam. Auf Afrikas Wasserwegen verkehren vielerorts altertümliche Boote, in die gerade so viel Wasser einläuft, daß das rettende Ufer noch erreicht wird – eine längere Fahrt würde den sicheren Tod bedeuten. Am Wochenende ertranken bis zu 260 Menschen vor der Küste Nigerias, als ihre Fähre auf dem Weg nach Gabun in einen Sturm geriet und kenterte.

Wenn die Elite auf diese „zweite Klasse“ umsteigt, ist sie natürlich genauso gefährdet wie das gemeine Volk. Der nigerianische Flugzeugabsturz vom 17. Januar kostete ausschließlich Verwandten von Nigerias Präsident Sani Abacha das Leben. 1994 starb Zaires Außenminister, als sein Flugzeug in Kinshasa partout nicht abheben wollte. Und einige Jahre zuvor verlor Sambia auf dem Luftweg seine gesamte Fußballnationalmannschaft. „Ich möchte niemanden erschrecken“, verkündete Nigerias Luftfahrtminister Nsikak Eduol kürzlich, „aber manche Fluggesellschaften kümmern sich überhaupt nicht um die Instandhaltung, und einige Maschinen dieser Gesellschaften sind fluguntauglich.“

Die Krise des afrikanischen Lufttransports ist nicht einfach schlechter Wartung oder menschlichem Versagen anzulasten. Sie ist ein Teil der Krise afrikanischer Politik. Wie Senegals Oppositionsführer Abdoulaye Wade kritisiert, behandeln Afrikas Eliten ihre staatlichen Fluglinien als „Spielzeug“ und nicht als Wirtschaftsunternehmen. Und in dem Maße, wie Afrikas postkoloniale Eliten von den eigenen Völkern angefochten und von auswärtigen Geldgebern fallengelassen werden, verkommen auch die staatlichen Repräsentationsunternehmen, zu denen Flugzeuglinien zählen.

„Wer ist in einer besseren Position als Air Afrique, um Ihnen dieses Afrika zu zeigen?“ lautet der ungewollt ironische Werbespruch der Fluglinie „Air Afrique“, in der elf frankophone afrikanische Staaten Anteile halten. Die Probleme der 1961 nach der Unabhängigkeit als Symbol afrikanischer Einheit gegründeten „Air Afrique“ sind typisch: Die Gesellschaft, die den internationalen Flugverkehr der elf Mitinhaberstaaten abwickelt, hat zehn Flugzeuge und 4.000 Angestellte. 1993 verlor die Fluglinie umgerechnet 25 Millionen Mark, 1994 immer noch 6 Millionen – bei weniger als 800.000 Fluggästen. Einem Kapital von 25,2 Milliarden afrikanischer CFA-Francs (75 Millionen Mark) stehen achtmal höhere Schulden gegenüber.

Der Grund: In den achtziger und neunziger Jahren kaufte „Air Afrique“ aus politischen Gründen sechs Airbusse zum Stückpreis von 60 Millionen Dollar, natürlich auf Kredit. Nun hat Konzernchef Billancourt, ein Franzose, eine Kooperation mit „Air France“ vereinbart: Die Afrikaner werden mit ihren Exkolonialherren die lukrativen Europarouten teilen und somit Kosten sparen. Damit wird die bankrotte Fluglinie faktisch zu einem Anhängsel der Franzosen herabgestuft.

„Air Afrique“ ist keine Ausnahme. 1993 und 1994 bestellte die Regierung von Gabun für die staatliche „Air Gabon“ zwei Kleinflugzeuge des französisch-italienischen Typus ATR, der damals von Paris als Zukunftsmodell zur Ablösung des deutsch-niederländischen Fokker angepriesen wurde. Schon im Dezember 1994 wurden die neuen ATR-Flieger eingemottet: Sie waren für afrikanische Bedürfnisse völlig ungeeignet. So paßten keine Särge in den Frachtraum, die Überführung von Toten ins Heimatdorf aber ist eine der wichtigsten Funktionen des afrikanischen Regionalflugverkehrs. Nun läßt „Air Gabon“ statt dessen seine 20 Jahre alten Fokker-Maschinen für 15 Millionen Mark wiederherrichten. Um das zu bezahlen, wird die Hälfte der 1.200 Angestellten entlassen und die Flotte von neun auf fünf Maschinen reduziert.

Verkleinerung, Massenentlassungen und Eingliederung in den Weltmarkt – so lautet die Zukunft der afrikanischen Luftfahrt. Mit jedem spektakulären Flugzeugabsturz wird deutlicher, daß die Zeit drängt. So wird das Jahr 1996 zu einem Jahr der Privatisierung. Im März kommt die relativ erfolgreiche kamerunische „Camair“ auf den Markt, „Kenya Airways“ folgt im August. Die Gesellschaften des südlichen Afrika blicken hoffnungsvoll auf „South African Airways“, „Air Afrique“ gerät unter die Fittiche von „Air France“, und für die nur noch auf dem Papier existierende staatliche „Air Zaire“ interessiert sich die belgische Sabena.

Es mag überraschen, daß sich überhaupt jemand für Afrikas Flugbetrieb interessiert. Auf dem Kontinent finden gerade mal vier Prozent der weltweiten Flugbewegungen statt. Nur sechs afrikanische Flughäfen fertigen jährlich mehr als eine Million Passagiere ab, was der Größe von Berlin- Tempelhof entspricht; den Frankfurter Flughafen passieren jährlich 35 Millionen Gäste. Aber nicht die maroden Flugzeuge und seltenen Fluggäste locken ausländische Investoren, sondern die äußerst lukrativen Start-, Lande- und Überflugrechte. „Air Zaire“ mag ungefähr so produktiv sein wie ein russisches Stahlwerk, doch der riesige zairische Luftraum liegt attraktiv zwischen Europa und Südafrika. Das dichte Netz von „Air Afrique“, das fast alle Hauptstädte Westafrikas zwischen Dakar und Brazzaville verbindet, ist der Schlüssel zur Beherrschung des westafrikanischen Luftraums. Kapitalkräftige westliche Fluggesellschaften werden auch in der Lage sein, den wuchernden Kleinflugbetrieben afrikanischer Privatunternehmer den Garaus zu machen – im Namen der Sicherheit.

Wurde vor hundert Jahren die afrikanische Landmasse zwischen den Kolonialstaaten aufgeteilt, beginnt jetzt der Verteilungskampf um den afrikanischen Himmel. Nur wird dies dem afrikanischen Durchschnittsreisenden wenig nützen. Wer in Sambia eine Reise tut und zwischen dem landeseigenen schrottreifen Bus und dem südafrikanischen Jumbo wählen muß, wird es vermutlich vorziehen, erst einmal zu Hause zu bleiben. Dominic Johnson