„Ich bestreite nicht, daß ich Nazi war“

Jahrelang lebte ein dänisches Mitglied der Waffen-SS unbehelligt in Kempten. Er soll 1943 einen Journalisten ermordet haben, doch fehlen mittlerweile die Beweise  ■ Von Bernd Siegler und Niels Rohleder

Als sich Sören Kam Anfang Oktober letzten Jahres zum Ulrichsberg am Wörthersee in Österreich aufmachte, ahnte er noch nicht, welche Folgen das haben konnte. Da stand er nun, mit stolzgeschwellter und ordenbehangener Brust im Kursaal von Krumpendorf und lauschte den Ausführungen von Jörg Haider. Der lobte die Anwesenden als „anständige Leute, die auch beim größten Gegenwind ihrer Überzeugung treu geblieben sind“. Sören Kam war zufrieden, hatte doch Haider soeben den Ruf der Waffen-SS und damit auch den seinigen aufpoliert.

Der Amateurfilm von Haiders Auftritt bei dem alljährlichen Treffen der europäischen Ultrarechten wurde kurz vor den österreichischen Parlamentswahlen in der ARD ausgestrahlt, die Presse berichtete mit großformatigen Bildern – auch in Dänemark. Das war Sören Kams Pech. Mehrere Dänen erkannten in ihm den Waffen-SS- Mann, der 1943 den dänischen Journalisten Carl Henrik Clemmensen getötet hat. Clemmensen arbeitete für den dänischen Widerstand. Nachdem er vor dänischen Nazis ausgespuckt hatte, verfolgten ihn der damalige Jungnazi Kam zusammen mit zwei anderen Kameraden bis zu seiner Wohnung. Sie sollen den Journalisten entführt und ihn auf offener Straße mit mehreren Pistolenschüssen ermordet haben. Während es Kam angeblich gelang unterzutauchen, wurde einer der Täter, Knud Flemming Helweg-Larsen, 1946 von einem dänischen Gericht zum Tode verurteilt. Vor seiner Hinrichtung hatte er noch erklärt, daß alle drei Täter zeitgleich geschossen hätten. Kam, der sich offiziell nie zur Tat geäußert hat, erzählte 1977 einem dänischen Journalisten, er habe seine Pistole erst abgefeuert, als Clemmensen schon auf der Straße lag.

Ende Dezember letzten Jahres haben dänische Journalisten Kam in Kempten aufgespürt. „Ich will nicht bestreiten, daß ich ein Nazi war“, erzählte er dem Ekstra Bladet, aber seit dem Krieg habe er „sich aus der Politik völlig rausgehalten“. „Ich war Verkaufsdirektor einer Brauerei in Bayern, und seit 36 Jahren wähle ich die CSU.“

Die dänische Organisation „Aktive Widerstandleute“ forderte nach dem Zeitungsinterview Justizminister Björn Westh auf, dafür zu sorgen, daß der „unter Mordverdacht Stehende vom Nachbarland ausgeliefert und vor Gericht gestellt“ werde. Entnervt von den Nachfragen, meldete Kam seinen Telefonanschluß am 29. Dezember ab. Als letzte Woche ein Kamerateam des dänischen Fernsehmagazins „Station 2“ in Kempten drehte, machte Kam vor laufender Kamera den Reportern die Türe zu mit der Bemerkung, daß er sich nicht vorstellen könne, daß „der Fall nach 52 Jahren in Dänemark noch jemanden interessieren könnte“.

In Dänemark löste der Fall jedoch, nachdem er bereits vor zehn Jahren Gegenstand einer Anfrage im Folketing war, erneut Empörung aus. Nicht nur, weil es sich bei Kam offensichtlich um einen unverbesserlichen Nazi handelt, wie seine Anwesenheit beim Haider- Treffen am Ulrichsberg beweise, sondern weil er schon mindestens einmal, 1985, unbehelligt in Dänemark zu Besuch war.

Auch in Deutschland ist der frühere Waffen-SS-Mann kein Unbekannter. Sein Fall ist dem Leitenden Oberstaatsanwalt der 1958 gegründeten Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, Alfred Streim, durchaus bekannt. Dort wurde das Verfahren an die Staatsanwaltschaft München II abgegeben, die 1968 das Aktenzeichen 13/JS/29ab/68 anlegte. Am 22. April 1971 stellte man dort das Verfahren gegen Kam mangels Beweisen ein. Streim betonte, daß bei Auftauchen neuer Erkenntnisse das Verfahren „jederzeit wiederaufgenommen werden“ könne. Bislang ist man jedoch bei der Staatsanwaltschaft München II beschäftigt, die Akte Kam aufzufinden.

In einem Leitartikel forderte die Kopenhagener sozialdemokratische Zeitung Det Fri Aktuelt vorgestern die Polizei auf, „alles zu tun, um Kam zu verhaften, wenn er sein altes Vaterland besucht“. Alles andere sei ein „Polizeiskandal“. Der zuständige Staatsanwalt für die Insel Seeland, Erik Merlung, erklärte, daß Kam zwar unverzüglich festgenommen werden würde, sollte er wieder seinen Fuß auf dänischen Boden setzen. Er gab jedoch zu, daß es bei der derzeitigen Beweislage kaum gelingen werde, Kam nach 52 Jahren des Mordes zu überführen. „Soll ich dem hohen Gericht sagen, daß die Stimme des Toten von 1945 der Beweis gegen diesen Kerl ist?“