Gewiß, solche Bilder berühren

■ "Rien ne va plus?" Der deutsche Beitrag zum arte-Themenabend "Asylpolitik in Europa" (20.50 Uhr)

Im Hausflur blättert die Farbe von der Decke, im Zimmer stehen die Doppelbetten aus Stahl an der Wand, der Blick aus dem Fenster ist trübe wie die Gesichter der acht schwarzen Männer, die um den Tisch sitzen. Ein schäbiges Leben in schäbiger Umgebung ist das.

Ruhe und Sicherheit wollte Syleiman Bouraina finden. 80 Mark Taschengeld im Monat bekommt er. Sein Name stehe auf einer Todesliste, hat er dem Entscheider gesagt. Doch der lehnte den Asylantrag ab. Die Fluchtgründe seien „unglaubwürdig. Togo, wo Syleiman Bouraina herkommt, war zu Anfang des Jahrhunderts deutsche Kolonie. Deutschland sei sein „Mutterland“, das sein Leben schützen müsse. Abgelehnt. Die Kamera verabschiedet sich sacht aus seinem Gesicht und fängt Manfred Kanther, Bundesinnenminister ein, der im Juli 1993 im Bundestag den „Asylkompromiß“ verteidigt: „Es geht nicht, daß für jeden ein Bleiberecht besteht.“

Die meisten, die auf Schleichwegen kommen, prallen ab an diesem Satz. Die Stationen ihrer Enttäuschung und Verzweiflung hält Milka Pavlicević mit der Kamera fest. Die Sprache ihrer Bilder ist subtil. Gitterstäbe umschließen das Asylbundesamt, lautlos drucken Computer die ablehnenden Urteile aus. Der Entscheider spricht von seiner Belastung und dem „Fingerspitzengefühl“ das er braucht, um herauszufinden, ob „der Antragsteller glaubwürdig ist“. Der BGS-Mann sagt, er brauche „Feeling“ bei einer Abschiebung. Pavlicević montiert Meinungen gegeneinander. Ein Pilot erinnert sich an einen Mann, der sich im Flugzeug mit Händen und Füßen gegen die Verfrachtung wehrte, von BGS-Beamten geknebelt wurde und bald darauf an einem Herzinfarkt starb.

„Rien ne va plus – Asyl in Deutschland“ ergreift einfach Partei. Entseelte Gesetze, kalte Politiker, stammelnde Bürokraten, nackte, finstere Behausungen, auf der einen Seite. Gutmeinende auf der anderen: Ulrike Voss, die in Nürnberg Flüchtlinge betreut, der Dolmetscher, der bezeugt, daß Entscheider von Asylsuchenden verlangen, das Protokoll ihrer Anhörung blanko zu unterschreiben, Herbert Leuninger von „Pro Asyl“, Nachbarn, die sich während einer Abschiebeaktion der Polizei an „Gestapo-Praktiken“ erinnert fühlen, der reuige Politiker, der seinerzeit den Asylkompromiß mittrug. Aus ihnen allen spricht pures Entsetzen über das unwirtliche Deutschland. Der politischen Realität stemmen sie Nächstenliebe und ihre Fähigkeit entgegen, sich dem Leid der Flüchtlinge anzunehmen.

Etwa die engagierte Flüchtlingshelferin, die Ibrahim Doruk auf dem Weg durch die Ämter begleitet. Ihm und seiner kurdischen Familie wurde vor Jahren das Asyl verweigert. In einer frühmorgendlichen Aktion holte die Polizei Frau und Kinder aus dem Haus und brachte sie in die Türkei. Der Mann konnte entkommen, erlitt einen Herzinfarkt und trat anschließend in Hungerstreik. Als sein Zustand kritisch wurde, ließen die deutschen Behörden Frau und Kinder wieder einreisen. Nun lebt die Familie auf engstem Raum in einer Sammelunterkunft, ängstlich in der Erwartung, daß der Duldungsstempel einmal nicht mehr nach drei Monaten in die Pässe gedrückt wird.

Diese Ungewißheit beschreibt Doruk als „Folter“, gleich der, die er in der Türkei durchlebt hat. Er weint. Die Betreuerin mit ihm. Eine Minute lang schwenkt die Kamera tonlos von einem Gesicht zum anderen. Gewiß, solche Bilder berühren. Milka Pavlicević will Emotionen provozieren, auch wenn sie aus der Balance gerät. Mit einem großen Gefühlsfinale läßt sie die Dokumentation enden. Die Kamera sucht einen Friedhof ab, auf dem zwei Asylsuchende begraben liegen, die den Druck deutscher Gesetze nicht aushielten. Klagender Kommentar der Autorin: „Unter der grünen Wiese im Armengrab beerdigt – Asyl in Deutschland.“ Dicker läßt sich Schuldgefühl nicht auftragen. Ein dürftiges Ende für eine sehenswerte Dokumentation. Annette Rogalla

„Rette sich wer kann – Asyl in Europ“, arte-Themenabend, 20.45 Uhr–1.10 Uhr. Einzelbeiträge: siehe TV-Programm