■ Türkei bricht Ägais-Streit vom Zaun, und Europa guckt zu
: Wie man Fakten schafft

Der aggressive Journalismus ist auf dem Vormarsch, wie wir wissen. Aus der aktuellen Ägäis-Krise lernen wir, daß aggressive Journalisten sogar politische Fakten schaffen können. Wenn das Schule macht, gibt es bald internationale Krisen zu bewältigen, die für Stern-TV oder gleich für Benetton inszeniert werden. So weit ist es aber noch nicht. Die türkischen Journalisten, die das griechische Eiland Imia kaperten, hatten politisch-militärische Auftraggeber. Für diese haben sie eine medienpolitische Spitzenleistung vollbracht. Alle Welt spricht nach ihrem Coup von einer „umstrittenen Grenze“ und „fragwürdigen Hoheitsrechten“. Über Nacht ist – mit Hilfe seriöser Nachrichtenagenturen – ein Mythos entstanden.

Dieser Mythos ist offenbar stärker als das Völkerrecht. Denn die Türkei hat nicht den Zipfel eines Anspruchs auf den griechischen Doppelfelsen. Wenn sie vorzeigbare Argumente hätte, könnte sie die vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag vorbringen. Das tut sie nicht, denn es entspricht weder ihren Interessen noch ihrer seit langem verfolgten Taktik. Und die läuft darauf hinaus, machtpolitisch Fakten zu schaffen. In bilateralen Verhandlungen sollen dann Zugeständnisse erzwungen werden, die mit friedlichen Mitteln nicht durchsetzbar wären.

Das zeugt von einem gebrochenen Verhältnis der Türkei zum Völkerrecht. Der Flaggenkrieg bei Kalymnos ist deshalb keine Bagatelle. Er sollte es auch nicht für die Europäer sein, die von unübersichtlichen Streitereien die Nase voll haben. Vor kurzem wurde die Zollunion zwischen der Türkei und der EU abgesegnet. In Athen hat der neue Ministerpräsident Simitis betont, daß sein Land an einer europäischen Orientierung der Türkei höchstes Interesse habe. Die Antwort aus Ankara auf diese neue griechische Position war die handfeste Provokation, die Simitis bei seinen eigenen Nationalisten diskreditieren soll.

Zu diesem Spiel haben die Europäer betreten geschwiegen, weil angeblich nur die Amerikaner Einfluß auf die Türken haben. In London, Bonn und Brüssel beschränkt man sich darauf, über die Islamisten und die Gefahr einer neuen Militärdiktatur zu raunen. Das Ergebnis ist offensichtlich: Die türkischen Politiker überbieten sich in ägäischem Populismus. Und die Militärs tun ohnehin, was sie für richtig halten. Sie werden es weiter tun, wenn nicht von den Partnern der Zollunion der deutliche Hinweis kommt: Die Türkei wird niemals in Europa ankommen, wenn sie ständig die völkerrechtlichen Verkehrsregeln überfährt. Niels Kadritzke